Enterotoxin als Krebsmittel Deniz Cicek-Görkem, 06.11.2017 13:42 Uhr
Eine Penicillingabe im Rahmen einer bakteriellen Infektion kann in seltenen Fällen zu einer Antibiotika-assoziierten hämorrhagischen Kolitis (AAHC) führen. Als Ursache hierfür wird das Enterotoxin Tilivallin gesehen, das ein Metabolit eines Darmbakteriums ist. Österreichischen Wissenschaftlern ist es nun gelungen, die genaue Biosynthese des Toxins und weitere Zwischenprodukte zu charakterisieren. Die neuen Erkenntnisse präsentieren sie im Fachjournal „Angewandte Chemie“.
Die Arbeitsgruppe um Professor Dr. Ellen Zechner von der Universität Graz hat in Zusammenarbeit mit weiteren Kollegen erforscht, welche Rolle das Penicillin-resistente Enterobakterium Klebsiella oxytoca bei der AAHC spielt. Aus ihrer früheren Studie war den Wissenschaftlern bekannt, dass Tilivallin in höheren Dosen die Darmschleimhaut angreift und eine Kolitis auslösen kann. Sie hatten herausgefunden, dass die Substanz aus dem chemischen Grundgerüst der Pyrrolobenzodiazepine (PBD) besteht.
Um den vollständigen Biosyntheseweg von Tilivallin in Klebsiella zu ermitteln, mussten sie zunächst die Gencluster für die Toxinbiosynthese identifizieren. Mithilfe biomolekularer und molekulargenetischer Experimente gelang ihnen dann die Charakterisierung der einzelnen Schritte. Die Wissenschaftler haben zwei neue Metabolite entdeckt: Sie haben herausgefunden, dass das erste Zwischenprodukt, Tilimycin, eine Vorstufe des Enterotoxins Tilivallin ist.
Tilimycin hat dasselbe Pyrrolobenzodiazepin-Grundgerüst wie Tilivallin, weist aber eine Hydroxygruppe statt des Indolrings an der C11-Position auf. Der zweite neue Metabolit ist das als Culdesacin bezeichnete Produkt, das zur Klasse der Pyrroloisochinolinone gehört. Es entsteht spontan aus Tilimycin. Anders als Tilivallin und Tilimycin zeigt Culdesacin keine zytotoxische Aktivität. Tilimycin ist den Ergebnissen zufolge stärker zytotoxisch als Tilivallin, das selbst keine DNA-schädigende Wirkung besitzt. Hintergrund ist die Blockade des chemisch aktiven Zentrums in der Tilivallin-Struktur. Für diesen Mechanismus machen die Wissenschaftler das Indol verantwortlich, was jedoch erst im letzten Schritt der Biosynthese hinzukommt.
Sie stellten zudem fest, dass die Indolanlagerung ohne Mitwirkung eines Enzyms abläuft und schreiben, dass das Bakterium selbst auch ein Indolproduzent sei. „Klebsiella oxytoca ist in der Lage, zwei Pyrrolobenzodiazepine mit unterschiedlicher Funktionalität zu produzieren, je nachdem, ob Indol in der Umgebung verfügbar ist“, fassen die Autoren der Studie zusammen. Sie vermuten weiterhin, dass Tilivallin und Tilimycin im Darm vorhanden sind und unterschiedliche zytotoxische Funktionen ausüben, die spezifisch für AAHC sind.
Aus den neuen Erkenntnissen könnten neue Therapieansätze abgeleitet werden. Unerwünschte Nebenwirkungen von Antibiotika ließen sich vermeiden oder abmildern. Der ungewöhnliche Biosyntheseweg für Pyrrolobenzodiazepine könnte den Forschern neue Ideen liefern, um Antikrebsmittel zu entwickeln. „Für Tilimycin kann erwartet werden, dass es ein mit DNA wechselwirkendes Antitumormittel sein könnte“, so die Autoren.
Die AAHC wird auf den fakultativ anaeroben, gram-negativen Erreger Klebsiella oxytoca zurückgezuführt. Das Bakterium ist aufgrund von β-Lactamasen zunehmend häufig resistent gegen Penicillin, Ampicillin und auch gegen Cephalosporine oder Ceftazidim.