Hirnentzündungen

EMA empfiehlt Zinbryta-Rückruf dpa/APOTHEKE ADHOC, 07.03.2018 16:54 Uhr

Nachdem Hersteller Biogen das MS-Mittel Zinbryta bereits zurückgerufen hat, zieht nun auch die EMA mit einer offiziellen Rückruf-Empfehlung nach. Foto: EMA
London - 

Die Europäische Arzneimittel-Agentur EMA hat den sofortigen Rückruf eines Medikaments gegen Multiple Sklerose empfohlen. Das Mittel Zinbryta (Daclizumab) stehe im Verdacht, bei 12 Patienten schwere und teils tödliche Hirnentzündungen ausgelöst zu haben.

Unter anderem sei bei den betroffenen Patienten Enzephalitis und Meningoenzephalitis diagnostiziert worden. Auch andere Organe könnten bei der Anwendung von Zinbryta von schweren Immunreaktionen betroffen sein, so die Behörde in einer offiziellen Mitteilung. Sie empfehle deshalb einen umgehenden Rückruf bereits ausgelieferter Chargen aus Apotheken und Krankenhäusern. Patienten sollten das Mittel demnach sofort absetzen und ihren Arzt kontaktieren.

Insbesondere sollen Ärzte auf Symptome wie erhöhte Körpertemperatur, schwere Kopfschmerzen, Schwindelgefühl, Müdigkeit, Gelbfärbungen der Haut oder der Augen und Erbrechen hinweisen. Dies könnten Anzeichen einer unerwünschten Reaktion auf den Antikörper sein. Betroffene sollen sich nach der Absetzung mindestens ein halbes Jahr lang regelmäßigen Bluttests unterziehen, so die EMA.

Der Hersteller Biogen rief bereits eigenverantwortlich und mit sofortiger Wirkung Zinbryta zurück. Insgesamt acht Meldungen einer immunvermittelten Enzephalitis/Enzephalopathie wurden im Zusammenhang mit Zinbryta dokumentiert, hieß es – betroffen sind sieben Patienten in Deutschland und einer in Spanien. Aufgrund dieser Vorfälle verzichtet Biogen auf die Zulassung.

Apotheker werden gebeten, das Warenlager auf die betroffene Ware zu überprüfen und diese an den Großhandel zurückzuschicken. Ob der EMA-Empfehlung ein rechtlich verbindlicher Rückruf folgt, entscheidet nun die EU-Kommission.

Seit der Zulassung 2016 wurden weltweit rund 8000 Patienten mit Zinbryta behandelt. In Deutschland wurde das Medikament EU-weit am häufigsten eingesetzt. Das Mittel wurde schon seit 2017 wegen möglicher Leberschäden nur noch als letztmögliche Alternative für Patienten mit Multipler Sklerose genutzt.

Eine deutsche Patientin hatte vier Injektionen Zinbryta erhalten; sie starb später an den Folgen eines akuten Leberversagens. Leberenzyme und Bilirubinwerte wurden jedoch vorschriftsmäßig während der Behandlung überprüft. Das Risiko für Leberschäden unter Zinbryta war bereits zum Zeitpunkt der Zulassung bekannt. Klinische Studien liefern Daten mit schweren Leberschäden bei 1,7 Prozent der Patienten. Die Experten des Ausschusses für Risikobewertung im Bereich der Pharmakovigilanz kamen zu der Empfehlung, den Einsatz von Zinbryta zu beschränken.

Die Experten empfahlen, nur noch MS-Patienten mit dem Arzneimittel zu behandeln, die auf mindestens zwei krankheitsmodifizierende Therapien (DMT) nur unzureichend ansprachen und für die keine andere DMT in Frage kommt. Patienten mit einer Vorerkrankung der Leber durften nicht mit mehr Zinbryta behandelt werden. Bestehen weitere Autoimmunerkrankungen oder übersteigen die Leberenzymwerte den Normalwert um mehr als das Doppelte, war eine Neubehandlung ebenfalls ausgeschlossen. Während der Therapie sollten die Leberfunktionswerte mindestens einmal pro Monat – am besten unmittelbar vor der Medikamentengabe – überprüft werden. Die Kontrolluntersuchungen sollen mindestens sechs Monate über das Therapieende hinaus fortgeführt werden.

Daclizumab ist ein humanisierter monoklonaler IgG1-Antikörper, der an T-Zellen bindet, die Teil des Immunsystems sind und durch Interleukin-2 (IL-2) aktiviert werden. Durch Bindung von Daclizumab an die T-Zellen kann IL-2 nicht mehr angreifen – eine Schädigung der Nervenzellen bleibt aus. Seit August 2016 war Zinbryta zur Behandlung von Erwachsenen mit schubförmiger Multipler Sklerose (RMS) zugelassen.