GLP-1-Analogon bei Adipositas

Ein Jahr Wegovy in Deutschland

, Uhr aktualisiert am 19.07.2024 15:45 Uhr
Berlin -

Seit einem Jahr ist Wegovy auf dem deutschen Markt. Trotz diverser Nebenwirkungen ist die Nachfrage groß. Das schafft Probleme – und inzwischen gibt es ernstzunehmende Konkurrenz.

Ärztinnen und Ärzte können das von dänischen Unternehmen Novo Nordisk produzierte Wegovy (Semaglutid) seit Mitte Juli 2023 in Deutschland verschreiben. Nach den Lieferengpässen teilte der Hersteller jüngst mit, dass das Präparat wieder lieferbar ist. Semaglutid wurde schon seit längerem zur Behandlung von Typ-2-Diabetes genutzt – unter dem Handelsnamen Ozempic. Wegovy enthält den Wirkstoff in höherer Dosierung und wurde für Menschen mit Adipositas ab einem Body-Mass-Index (BMI) von 30 zugelassen. Die Therapie soll mit Diät und Bewegung kombiniert werden.

Wie wirkt Wegovy?

Semaglutid imitiert die Wirkung des Darmhormons GLP-1 (Glucagon-like peptide-1). Dieses werde nach dem Essen aus dem Dünndarm freigesetzt, erläutert Matthias Laudes, Vizepräsident der Deutschen Adipositas Gesellschaft (DAG) und Direktor des Instituts für Diabetologie und klinische Stoffwechselforschung am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein.

Das Hormon signalisiert der Bauchspeicheldrüse, Insulin zu produzieren, dem Gehirn Sättigung und dem Magen, die Entleerung zu verzögern. Letzteres kann Übelkeit verursachen, die sich jedoch meist legt, wenn kleinere Portionen gegessen werden.

Welche weiteren Nebenwirkungen gibt es?

Neben Übelkeit komme es zu Beginn der Therapie häufig zu weiteren Magen-Darm-Beschwerden wie Erbrechen, Durchfall und Verstopfung, erklärt Karsten Müssig von der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie (DGE), Chefarzt der Klinik für Innere Medizin, Gastroenterologie und Diabetologie am Franziskus-Hospital Harderberg. Daher werde mit einer niedrigen Dosis begonnen, die nach und nach gesteigert werde. Seltene Nebenwirkungen seien eine Entzündung der Bauchspeicheldrüse und Darmverschluss. Deshalb solle die Behandlung nur unter ärztlicher Kontrolle erfolgen, mahnt Müssig.

Eine jüngst in der Fachzeitschrift Jama Ophthalmology veröffentlichte Studie deutet darauf hin, dass Semaglutid in sehr seltenen Fällen mit einer schweren Augenerkrankung einhergehen könnte – der sogenannten nicht-arteriitischen anterioren ischämischen Optikusneuropathie (NAION). Erwiesen sei dies zwar nicht, ernst nehmen müsse man es aber schon, sagt Horst Helbig von der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft (DOG) und vom Universitätsklinikum Regensburg. Die Klärung dieser Frage bedürfe weiterer Untersuchungen und einer sorgfältigen Beobachtung von Patienten.

Berichte deuten auf ein weiteres Phänomen hin, bekannt unter dem Begriff Ozempic Face: Generell kann bei einer schnellen Gewichtsabnahme das Gesicht eingefallen und stark gealtert wirken.

Muss Wegovy lebenslang genommen werden?

Adipositas sei ebenso wie Diabetes eine chronische Erkrankung, sagt Laudes, daher müsse das Medikament lebenslang genommen werden. Bei einem Diabetesmedikament werde auch niemand sagen, das könne man nach sechs Monaten absetzen, erläutert Laudes weiter. Jeder adipöse Mensch habe sein Leben lang das Problem, dass er immer wieder zunehmen kann. Das sehe man etwa auch nach Magenverkleinerungen.

Eine Adipositas-Therapie sollte immer auch eine Änderung des Lebensstils enthalten, etwa im Sinne einer ausgewogenen Ernährung und regelmäßiger körperlicher Bewegung, weiß der DGE-Experte Müssig. Die Kost sollte kalorienreduziert und ballaststoffreich sein und außerdem weniger gesättigte und mehr ungesättigte Fettsäuren enthalten – ähnlich wie bei der mediterranen Ernährung.

Der Preis der Adipositas-Therapie beläuft sich laut Müssig auf etwa 300 Euro monatlich. Patienten müssen die Kosten selbst tragen, denn das Medikament wird nicht von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen.

Beeinflusst Wegovy die Fruchtbarkeit von Frauen?

Unter der Behandlung mit Semaglutid habe es bei Frauen, die längere Zeit einen unerfüllten Kinderwunsch hatten, Schwangerschaften gegeben, sagt Ulrich Knuth, Vorsitzender des Bundesverbands Reproduktionsmedizinischer Zentren Deutschland (BRZ). Valide Zahlen dazu gebe es allerdings nicht. Möglicherweise, so der Experte, spiele hier die Verringerung des Körpergewichts eine Rolle. Es sei bekannt, dass Adipositas die Wahrscheinlichkeit einer Schwangerschaft verringere.

Während der Schwangerschaft und Stillzeit soll das Präparat nicht verwendet werden. Wer ein Kind bekommen wolle, sollte Semaglutid mit einem Vorlauf von mindestens zwei Monaten absetzen, schreibt die europäische Arzneimittelbehörde EMA.

Welches Fazit kann nach einem Jahr gezogen werden?

Ozempic sei schon lange Zeit jenseits der eigentlichen Zulassung – also gegen Typ-2-Diabetes – zur Gewichtsreduktion eingesetzt worden, sagt Diabetologe Müssig. Die Einführung von Wegovy ging vor einem Jahr mit der Hoffnung einher, dass Ozempic nicht länger bei Adipositas eingesetzt wird und verstärkt den Diabetes-Patienten zur Verfügung steht. Zwar habe sich inzwischen die Verfügbarkeit von Ozempic gebessert, aber es gebe weiterhin Lieferengpässe. Adipositas-Experte Laudes weiß, auch bei Wegovy sei die Nachfrage größer als die Produktion.

Diese Situation erhöht das Risiko von Produktfälschungen – die EMA warnt explizit vor dem Kauf von Präparaten auf dem Schwarzmarkt. Zudem sollten die Präparate nur für die jeweiligen Zulassungen – Typ-2-Diabetes und Adipositas – zum Einsatz kommen. Wenn nicht adipöse Menschen diese Medikamente lediglich dazu nutzten, um ihre Figur zu optimieren, verschlimmere dies die ohnehin bestehenden Engpässe.

Semaglutid vs. Tirzepatid

Neben Novo Nordisk vertreibt Eli Lily mit Mounjaro (Tirzepatid) seit Ende vergangenen Jahres in der EU eine Alternative zu Semaglutid-Präparaten. Tirzepatid wirkt nicht allein auf den GLP-1-Rezeptor, sondern zusätzlich auch auf den GIP-Rezeptor (glukoseabhängiges insulinotropes Polypeptid).

Eine kürzlich veröffentlichte Studie stellte heraus, dass Tirzepatid Semaglutid in puncto Gewichtsreduktion überlegen ist. Die Nebenwirkungsrisiken beider Substanzen seien vergleichbar, berichtet das Forschungsteam im Fachjournal Jama Internal Medicine. Aussagen zu Langzeitfolgen sowie zum Erreichen wichtiger Ziele wie einem verringerten Risiko für Herzinfarkte ließen sich aus der Analyse nicht ableiten.

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