Diclofenac: Jeder zehnte Fall kontraindiziert Alexandra Negt, 14.11.2019 08:42 Uhr
Trotz Warnungen und Rote-Hand-Brief wird der Wirkstoff Diclofenac weiterhin zahlreich verordnet. Die Gesamtzahl sinkt, die Anzahl an ausgestellten Rezepten für Risikogruppen bleibt jedoch identisch. Jeder zehnte Patient dürfte aufgrund vorliegender Grunderkrankungen keine Verordnung über Diclofenac erhalten.
Das Leibniz-Institut für Präventionsforschung und Epidemiologie informiert aktuell zum Verordnungsverhalten von Diclofenac: Die Gesamtzahl der Verordnungen ist seit 2013 zurückgegangen: Wurden 2012 noch 394 Millionen Tagestherapiedosen (DDD) verordnet, so waren es 2013 nur noch 356 Millionen, das entspricht einem Rückgang von 10 Prozent. 2014 sanken die Zahlen weiter auf 317 Millionen DDD, was erneut einen Rückgang um 10 Prozent entspricht. Im vergangenen Jahr wurden 212 Millionen DDD verordnet.
Obwohl die Verordnungszahlen gleichbleibend rückläufig sind, gehört Diclofenac damit immer noch zu den meistverordneten Schmerzmitteln. Nur Ibuprofen wurde mit 538 Millionen DDD im vergangenen Jahr häufiger verordnet. Kritisch zu sehen sind laut Leibniz-Institut die ausgestellten Verordnungen an Personen aus Risikogruppen: Rund 10 Prozent aller Dicofenac-Verordnungen entfallen auf Patienten, für die dieser Wirkstoff kontraindiziert ist.
Weitere Analysen sind vom Leibniz-Institut geplant. „Wir gehen nicht davon aus, dass sich ohne weitere Maßnahmen etwas am Verschreibungsverhalten geändert hat. Man muss davon ausgehen, dass es aufgrund dieser Verordnungen zu Herzinfarkten und Schlaganfällen kam, die vermeidbar gewesen wären, denn es gibt sicherere Alternativen zu Diclofenac“, gibt Professor Dr. Ulrike Haug, Leiterin der Abteilung Klinische Epidemiologie, zu bedenken. Weiterhin fügt sie an: „Mehr Aufklärung in Arztpraxen zu den Risiken von Diclofenac, auch bei kurzzeitiger Einnahme und niedrigerer Dosis, erscheint dringend notwendig, ebenso wie Studien, die untersuchen, wie das Verordnungsverhalten in Risikogruppen nachhaltig beeinflusst werden kann.“
Vor sechs Jahren wurden Ärzte und Apotheker über das erhöhte Risiko kardiovaskulärer Ereignisse unter der Einnahme von Diclofenac in einem Rote-Hand-Brief informiert. Diclofenac darf seitdem nicht mehr bei bestehender Herzinsuffizienz oder anderen koronaren Herzerkrankungen eingenommen werden. Bei vorliegender Hypertonie oder Hyperlipidämie sollte eine Einnahme nur nach sorgfältiger Nutzen-Risiko-Abwägung erfolgen. Raucher sollten auf alternative Analgetika ausweichen.
Unter Experten wird zum Teil von einer Fehleinordnung des Wirkstoffes gesprochen: Diclofenac zeige mehr pharmakologische Ähnlichkeiten zu den selektiven COX-2-Hemmern als zu den restlichen NSAID. Der Wirkstoff besitzt laut Angaben des Leibniz-Instituts sogar ein ähnliches Risikoprofil wie Rofecoxib, das 2004 aufgrund von zahlreichen kardiovaskulären Todesfällen vom Markt genommen wurde.
Die gesteigerte Produktion von Prostaglandinen bei Entzündungsreaktionen ist hauptsächlich durch COX-2-Induktion bedingt. Celecoxib und Etoricoxib sind die letzten zugelassenen Wirkstoffe innerhalb dieser Gruppe in Deutschland. Da sie die COX-1 nicht hemmen, wird die Synthese der zytoprotektiven Prostaglandine in der Magen- und Darmwand nicht unterbunden. Dadurch sind diese Arzneistoffe magenschonender als andere NSAID; das Risiko zur Entstehung kardiovaskulärer Ereignisse ist unter der Einnahme jedoch um ein Vielfaches höher.
Die Risiken von Diclofenac sowie anderer NSAID werden immer wieder diskutiert. Unabhängig vom Wirkstoff bestehen bei falscher Einnahme Risiken von unerwünschten Arzneimittelwirkungen, zudem ist der Missbrauch von Schmerzmitteln hoch. Im vergangenen Jahr trat eine Verordnung über Warnhinweise auf Umverpackungen von Schmerzmitteln in Kraft. Verschreibungsfreie, oral oder rektal anzuwendende Produkte mit den Wirkstoffen Acetylsalicylsäure, Diclofenac, Ibuprofen, Naproxen, Paracetamol oder Phenazon müssen mit dem Hinweis „Bei Schmerzen oder Fieber ohne ärztlichen Rat nicht länger anwenden als in der Packungsbeilage vorgegeben!“ versehen werden.