Diabetiker wollen Gliptine retten Nadine Tröbitscher, 16.02.2017 13:11 Uhr
Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) entscheidet über den Zusatznutzen von Arzneimitteln. Die Diabetes-Präparate kamen in der Vergangenheit eher schlecht weg und gar den Zusatznutzen abgesprochen. Die Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG) sieht 1,5 Millionen Patienten in Gefahr, ihre bewährte Therapie zu verlieren.
Typ-2-Diabetiker müssen womöglich künftig auf ihre Dipeptidyl-Peptidase-4-Hemmer (DPP-4-Hemmer) verzichten, fürchtet die DDG. Obwohl die Präparate sich bereits seit zehn Jahren bewährt hätten, habe der G-BA ihnen den Zusatznutzen abgesprochen. Betroffen sind die Wirkstoffe Sitagliptin und Saxagliptin. Sitagliptin wird von MSD Sharp & Dohme als Monopräparat unter dem Namen Januvia vertrieben und als Fixkombination mit Metformin unter dem Namen Janumet. Die Lizenzprodukte von Berlin-Chemie heißen Xelevia und Velmetia. Saxagliptin wird von AstraZeneca als Onglyza und in Kombination mit Metformin als Komboglyze vermarktet.
Bei Sitagliptin als Monosubstanz gab zunächst „Anhaltspunkte für einen geringen Zusatznutzen“. Aufgrund der Unsicherheiten bezüglich der aufgetretenen Retinopathien und noch fehlender Daten zu Hypoglykämien in der kardiovaskulären Langzeitstudie wurde der Beschluss bei der erneuten Prüfung im vergangenen Jahr jedoch abermals befristet. Bei Saxagliptin konnte der G-BA nach eigenen Angaben aufgrund der großen Relevanz der Entwicklung einer Herzinsuffizienz bei Diabetikern keinen Zusatznutzen aussprechen.
Auch für die Kombinationen mit Metformin gab es laut G-BA keine Studienauswertungen, die die speziellen Anwendungsvoraussetzungen der Kombinationspräparate adäquat berücksichtigten. Ein Zusatznutzen gilt daher weder für Saxagliptin/Metformin noch für Sitagliptin/Metformin als belegt.
„Es steht durchaus zu befürchten, dass – wenn nicht mit Augenmaß verhandelt wird – die Präparate am Ende vom Markt genommen werden“, sagt Professor Dr. Dirk Müller-Wieland, gesundheitspolitischer Sprecher der DDG. Ein Beispiel sei Synjardi (Empagilflozin/Metformin). Das Antidiabetikum von Boehringer/Lilly verschwand im November vom Markt, nachdem der G-BA keinen Zusatznutzen anerkannt hatte.
Die DDG fürchtet nun aus gleichem Grund das Aus für Onglyza, Komboglyze, Janumet und Velmetia. Betroffen wären etwa 1,5 Millionen Diabetiker. Sie müssten auf Alternativen ausweichen. Die Umstellung sei meist schwierig und mit hohen Kosten verbunden. „Sie entstehen, weil die Patienten beim Wechsel auf ein neues Medikament unter Umständen eine Schulung benötigen und ihren Blutzucker zunächst häufiger kontrollieren müssen“, so Müller-Wieland. Die Ausweichpräparate seien häufig teurer und mit einer Injektion verbunden.
Das Unverständnis für die G-BA-Bewertung ist groß: „Warum eine Tablette, die zwei Substanzen enthält, anders sein soll als zwei separate Tabletten, leuchtet medizinisch nicht ein.“ Zudem seien die Patienten dankbar, nur eine statt zwei Tabletten einnehmen müssten. Der DDG-Sprecher sieht die Therapie gefährdet, denn die Compliance könnte sich verschlechtern.
„Bisher haben nur vier von 18 neuen Diabetes-Präparaten einen Zusatznutzen vom G-BA erhalten, sechs sind in Deutschland nicht mehr auf dem Markt“, so DDG-Präsident Professor Dr. Baptist Gallwitz. „Die Beurteilungskriterien […] sind häufig inkonsistent und nicht frei von Interessen. Die Entscheider setzen sich über den medizinischen Standard hinweg und ignorieren oft die Leitlinien der DDG und anderer internationaler Fachgesellschaften“, kritisiert Gallwitz.
AstraZeneca ist bestrebt, Komboglyze und Onglyza am Markt zu halten, und befindet sich aktuell in den Preisverhandlungen. Auch wenn die erste Runde beendet sei, stehe man noch ganz am Anfang, heißt es aus Wedel. Der Hersteller will den Weg Schritt für Schritt gehen und erwartet ein Ende der Verhandlungen für die Jahresmitte.
Gliptine hemmen selektiv und kompetetiv DPP-4 und fördern die Insulinfreisetzung und -synthese aus den Betazellen. Zusätzlich werden die Glukoseempfindlichkeit der Zellen verstärkt und die Aufnahme von Zucker ins Gewebe gefördert. Die Alphazellen reduzieren ihre Glucagonsekretion, die Leber vermindert ihre Glukoseproduktion. Eine 2er- oder 3er-Kombination mit Metformin, Sulfonylharnstoffen, Thiazolindion oder Insulin ist möglich. Nebenwirkungen können Harnwegsinfekte, Erkältungen oder Kopfschmerzen sein.
Boehringer hatte seine Linagliptin-Präparate Trajenta und Jentadueto 2013 vom Markt genommen, nachdem sie auch im zweiten Anlauf durchgefallen waren. Novartis hatte sich nach gescheiterten Preisverhandlungen mit seinen Vildagliptin-Präparaten Galvus und Eucreas zum 1. Juli 2014 verabschiedet. Takeda war mit Alogliptin in Deutschland gar nicht erst angetreten.