Demenz durch Anticholinergika? APOTHEKE ADHOC, 26.07.2019 12:07 Uhr
Anticholinergika zählen zu den sehr häufig verordneten Medikamenten: Eine britische Fall-Kontrollstudie gab nun Hinweise darauf, dass die langfristige Einnahme das Risiko einer Demenzerkrankung steigern könnte. Die Auswertung wurde im JAMA Internal Medicine veröffentlicht. Vorherige Studien lieferten bereits ähnliche Ergebnisse.
Einen konkreten Beweis für die Auslösung von Demenz durch Anticholinergika gibt es bisher nicht: Jedoch deuten die Ergebnisse einiger Studien darauf hin. Die nun publizierte Fall-Kontrollstudie der Universität Nottingham ist die bisher größte Untersuchung in diesem Bereich: Sie wurde mit knapp 59.000 Patienten und über 225.500 Kontrollen durchgeführt, dabei wurden Begleiterkrankungen und Patienteneigenschaften mitbewertet. Von den einbezogenen britischen Hausarztpatienten erhielt jeder zweite zeitweise ein Anticholinergikum.
Ein starker Hinweis auf den Zusammenhang liefert die Dosis-Wirkungsbeziehung: Mit steigernder Dosis und Einnahmezeit nahm die Zahl an entwickelten Demenzen zu: Während die Anzahl nach 90 standartisierten Tagesdosen (TSDD) noch deutlich geringer war, stieg sie nach mehr als 1095 TSDD – also einer Behandlungszeit von mehr als drei Jahren – deutlich an. Die Ergebnisse änderten sich nicht, wenn die letzten drei oder fünf Jahre aus der Analyse herausgenommen wurden. In dieser Zeitspanne hatte sich die Demenz möglicherweise schon angekündigt. Einbezogen in die Studie wurden anticholinerge Antidepressiva, Medikamente gegen Parkinson, Antipsychotika und Mittel mit Wirkung auf den Urogenitaltrakt. Aufgrund der häufigen Verordnung der Wirkstoffe könnten den Autoren zufolge 10,9 Prozent aller Demenzerkrankungen durch Anticholinergika verursacht werden: Das wären mehr Demenzerkrankungen, als solche die aufgrund von Bluthochdruck im mittleren Lebensalter (5 %), Diabetes (3 %) und körperliche Inaktivität (6,5 %) entstehen.
Ähnliche Hinweise fanden vor ein paar Jahren US-amerikanische Forscher: In einer prospektiven Untersuchung wurden mehr als 3400 Patienten ab 65 Jahren untersucht, die zu Studienbeginn keine Anzeichen einer Demenz zeigten. Das Team der Universität Washington beobachtete die geistige Entwicklung der Probanden über durchschnittlich 7,3 Jahre. Dann werteten die Forscher die Daten aus und ermittelten für jeden Probanden die kumulative Anticholinergika-Exposition der vorangegangenen zehn Jahre.
Während der Studie erkrankte fast jeder vierte Proband an einer Demenz, davon 79,9 Prozent an Alzheimer. Die Wahrscheinlichkeit stieg auch hier mit der kumulativen Dosis eingenommener Anticholinergika an: Hatten die Patienten 91 bis 365 standardisierte Tagesdosen eingenommen, erhöhte sich das Demenzrisiko um 19 Prozent, bei ein- bis dreijähriger Einnahme um 23 Prozent und bei einer Einnahme länger als drei Jahre um 54 Prozent. Es konnte außerdem gezeigt werden, dass kognitive Beeinträchtigungen durch Anticholinergika nicht reversibel sind.
Anticholinergika werden gegen eine ganze Reihe von Beschwerden eingesetzt: Ipratropium und Tiotropium haben ihr Einsatzgebiet in der Behandlung der COPD, Tolterodin und Oxybutynin werden bei Reizblase verordnet. Auch gegen Krämpfe (Butylscopolamin) und als Diagnostikum (Atropin, Scopolamin) werden die Hemmstoffe des Parasympathikus angewendet. Sie bewirken eine Abnahme des Tonus der glatten Muskulatur des Gastrointestinaltraktes, der ableitenden Harnwege und der Bronchialmuskulatur. Außerdem kommt es zur Hemmung der Speichel-, Magensäure-, Bronchial- und Schweißsekretion, sowie zu einer Steigerung der Herzfrequenz und einer Pupillenerweiterung.
Bei einer Demenzerkrankung, werden nach und nach Nervenzellen im Gehirn zerstört, was zu einem Verlust der geistigen Fähigkeiten führt. Die Ursachen sind bis heute nicht vollständig geklärt. Das macht eine gezielte Prävention von Demenzerkrankungen besonders schwierig. Einige Faktoren können jedoch das Risiko mindern, an Demenz zu erkranken: Gesunde Ernährung, regelmäßige Bewegung, niedrige Cholesterinspiegel und ein gut eingestellter Blutdruck sind Faktoren die selbst beeinflusst werden können und eine gute Basis liefern, nicht an Demenz zu erkranken. Ein ganz natürlicher Vorgang ist hingegen die Abnahme der Fähigkeit zur Bildung neuer Verknüpfungen zwischen den Nervenzellen mit zunehmendem Alter.