Zur besseren Einschätzung des Krankheitsverlaufs von Diabetikern bei Covid-19 wurden neue Praxisempfehlungen veröffentlicht. Ziel ist es, das Risiko eines schweren Verlaufs zu verhindern. Im Fokus stehen mögliche Wechselwirkungen zwischen antidiabetischen und antiviralen Wirkstoffen.
Bei der Gesamtheit der Patienten, die an Covid-19 erkranken, gehört Diabetes mellitus zu den häufigsten Begleiterkrankungen. Neben der Zuckerkrankheit leiden viele Infizierte auch unter kardiovaskulären Erkrankungen. Deshalb hat die Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG) einen Praxisleitfaden zum Diabetes-Management bei einer Corona-Infektion veröffentlicht.
Es wird vermutet, dass Betroffene ein erhöhtes Risiko für akute Lungenschäden, einschließlich akutem Lungenversagen (Acute Respiratory Distress Syndrome, ARDS) sowie Multiorganversagen haben. Ziel der neuen Handlungsempfehlungen ist es zum einen, mögliche Interaktionen zwischen antidiabetischen und antiviralen Arzneimitteln zu vermeiden, zum anderen soll auch der gestörte Glukosestoffwechsel berücksichtigt werden. Ein gleichmäßiger Blutzuckerwert senkt nach ersten Erkenntnissen das Risiko schwerer Verläufe.
Die DDG empfiehlt, während der Pandemie den Blutglukosespiegel von Diabetikern und auch von Patienten mit erhöhtem Diabetesrisiko regelmäßig zu kontrollieren. In den aktuellen Handlungsempfehlungen wurden hierfür Blutglukosewerte als Therapieziele definiert, diese gelten ausschließlich für nicht intensivpflichtigen Patienten:
Um auch Patienten mit einem bisher nicht diagnostizierten Diabetes im Falle einer Sars-CoV-Infektion adäquat behandeln zu können spricht sich die DDG für ein Diabetes-Screening aus. Mit dem Coronavirus infizierte Patienten ohne diagnostizierte Diabeteserkrankung könnten durch ein flächendeckendes Glukosemonitoring oder einer HbA1c-Bestimmung auf Neumanifestationen getestet werden. Je nachdem, wie schwer die Corona-Infektion im Einzelfall ist, sollten unterschiedliche Parameter engmaschig kontrolliert werden. Darunter der Blutglukosewerte, die Plasmaglukose- sowie die HbA1c-Werte, Elektrolytgehalt, pH-Wert, die Anionenlücke (rechnerische Anionen-Defizit im Blut zur Differentialdiagnose der metabolischen Azidose) und der Blutdruck. „Grundvoraussetzungen für Diabetespatienten sind zunächst eine gute Blutzuckereinstellung, eine Überwachung möglicher Anzeichen für eine Ketoazidose oder Laktatazidose sowie des Blutdrucks“, erklärt Professor Dr. Monika Kellerer, Präsidentin der DDG.
Als Behandlungsziele bei Diabetikern, die sich mit Covid-19 infizieren hat die DDG folgende Therapieziele festgelegt:
Bei einem stationären Aufenthalt vermuten die Experten, sei die Gefahr von Interaktionen zwischen Komplikationen wie Laktat- oder Ketoazidose und Medikamenteninteraktionen (Hydroxychloroquin, Lopinavir/Ritonavir, Remdesivir) zu rechnen.
Alle antidiabetischen Therapieoptionen außer Insulin sollten im Falle einer Sars-CoV-2-Infektion kritisch überprüft werden. Dies gelte insbesondere für SGLT2-Inhibitoren (Vermeidung einer atypischen Ketoazidose )und für Metformin (Gefahr einer Laktatazidose). Diabetiker sollten die sogenannten „Sick Day Rules“ berücksichtigen. Das Wort Sick steht hier für: Sugar, Insulin, Carbs und Ketons. Diese Regel soll Patienten bei der Vermeidung von Nebenwirkung helfen.
Für einzelne Wirkstoffe gibt die DDG folgende Empfehlungen:
Metformin:
Einnahme pausieren bei: Fieber über 38,5 Grad. Engmaschige Überwachung der Nierenfunktion, Kontrolle des Säure-Basen-Haushaltes und des Laktatspiegels im Serum
SGLT2-Inhibitoren:
Einnahme pausieren bei: Fieber über 38,5 Grad, eingeschränkter Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme, bei Insulinmangel. Kontrolle der Nierenfunktion und des Säure-Basen-Haushaltes und der Ketone im Serum
Sulfonylharnstoffe:
Therapieunterbrechung kann in Erwägung gezogen werden. Der Grund: Das bestehende Hypoglykämierisiko bei Kumulation aufgrund einer Niereninsuffizienz
Dapagliflozin:
Aussetzen der Behandlung bei Typ-1-Diabetes.
DPP4-Inhibitoren:
Eine Therapie gemäß Fachinformation ist so lange möglich, wie die orale Medikamenteneinnahme gewährleistet und eine ausreichende antihyperglykämische Wirkung zu erwarten ist.
Pioglitazon:
Es besteht die Gefahr einer kardialen oder renalen Insuffizienz, deshalb empfiehlt die DDG die Einnahme zu pausieren.
GLP-1-Rezeptoragonisten:
Eine Therapie gemäß Fachinformation ist unter Berücksichtigung der Nierenfunktion möglich. Bei schweren Verläufen könnte die Therapie zugunsten einer Insulintherapie ausgesetzt werden.
Antihypertensive Therapie:
Als Zielblutdruck sind Werte unter < 135/80 mmHg anzustreben.
Das Virus dringt über den ACE-2-Rezeptor in die Zelle ein. Die DDG betont, dass Überlegungen, dass die Einnahme von RAS-Blockern (Renin-Angiotensin-Blocker) den Krankheitsverlauf verschlechtert bislang rein hypothetisch sind. Eine klinische Evidenz liegt aktuell nicht vor. Deshalb rät die DDG, eine bestehende Therapie mit RAS-Inhibitoren beizubehalten und nicht abzusetzen. Somit sollen Patienten ihre gewohnte Behandlung – einschließlich ACE-Hemmer und Angiotensin-Rezeptor-Inhibitoren – fortsetzen.
ACE-Hemmer:
Benazepril, Captopril, Cilazapril, Delapril, Enalapril, Fosinopril, Imidapril, Lisinopril, Moexipril, Perindopril, Quinapril, Ramipril, Spirapril, Trandolapril, Zofenopril
Angiotensin-(II)-Rezeptor-Blocker:
Azisartan, Candesartan, Eprosartan, Irbesartan, Losartan, Olmesartan, Telmisartan, Valsartan
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