Für Menschen mit chronisch entzündlichen Darmerkrankungen, die aktuell eine Therapie mit Immunsuppressiva durchführen, stellen sich beim Thema Corona zahlreiche Fragen. Häufig vermuten die Patienten, dass die Medikamente das Infektionsrisiko so weit erhöhen, dass es sicherer wäre die Präparate abzusetzen. Gastroenterologen warnen jedoch vor einem Therapieabbruch: Patienten, die eine laufende immunsupprimierende Therapie absetzen, riskieren einen Schub. Dieser könnte dann womöglich eine viel intensivere Behandlung benötigen – der Körper wird zusätzlich geschwächt. Durch diese kurzzeitige intensive Therapie höheren Infektanfälligkeit führt.
Die Diagnose „chronisch entzündliche Darmerkrankung“ allein bedeutet nicht, dass die körpereigene Abwehr gegenüber eines viralen Infektes so sehr geschwächt ist, dass Menschen mit Morbus Crohn oder Colitis Ulcerosa zu einer Risikogruppe gehören. Die Grunderkrankung steigert das Infektionsrisiko nicht. Das Infektionsrisiko kann sich aber durch einige Therapien erhöhen. Generell sei auch eine vorliegende Mangelernährung ein potentieller Risikofaktor – ist der Organsimus nicht ausreichend mit Vitaminen und Mineralstoffen versorgt, so könnte das Immunsystem generell geschwächt sein. Bei starker Malabsorption, insbesondere bei schweren Formen des Morbus Crohn, sollten Betroffene gemeinsam mit ihrem behandelnden Arzt über eine sinnvolle Supplementierung sprechen.
Zu den häufig eingesetzten immunsuppressiven Medikamenten zählen Kortisone, Azathioprin, TNF-Antikörper und andere Biologika. Die Wirkstoffe steigern die Infektanfälligkeit im unterschiedlichen Maße. Von einem eigenständigen Therapieabbruch raten Gastroenterologen und Fachgesellschaften, wie die Deutsche Morbus Crohn/Colitis ulcerosa Vereinigung (DCCV), ab. Denn ein Therapieabbruch könne immer einen Schub begünstigen. Dieser muss unter Umständen mit anderen Medikamenten oder in höherer Dosierung therapiert werden – der Organismus wird zusätzlich geschwächt und das Infektionsrisiko steigt.
Die DCCV gibt zu bedenken, dass es bisher keine gesicherten Informationen zu den angewendeten Therapien und ihrer Auswirkung auf die Ansteckung mit Sars-CoV-2 gibt. Auch über den Krankheitsverlauf von Covid-19 bei Patienten mit chronisch entzündlichen darmerkrankungen sei bisher wenig bekannt. Aufgrund fehlender wissenschaftlicher Informationen bleiben somit aktuell viele Fragen offen. Inwieweit Medikamente wie Azathioprin & Co. sich auf eine Corona-Infektion auswirken ist noch nicht bekannt – Mediziner können nur auf Erfahrungen bei anderen Viruserkrankungen zurückgreifen. Ob ein Therapiewechsel oder -abbruch angezeigt ist, sollten die Patienten immer mit dem behandelnden Arzt klären.
Mesalazin/Sulfasalazin:
Diese Wirkstoffe greifen nicht in die Abwehr von Virusinfekten ein und erhöhen das Infektionsrisiko nicht.
Kortison:
Wirkstoffe dieser Gruppe schränken die Abwehr des Immunsystems ein. Die Gabe dieser Medikamente sollte, in Absprache mit dem behandelnden Arzt eingeschränkt werden. Bei vorliegender Corona-Infektion sollte die Therapie, laut der Europäischen Medizinischen Fachgesellschaft für Crohn und Colitis (ECCO), ausgesetzt werden. Diese empfehlung bezieht sich auf Erfahrungen mit Influenza-, Mers- und sars-CoV-1-Viren. Die Therapie sollte nicht selbstständig und ohne Rücksprache abgesetzt werden.
MTX:
Methotrexat schränkt die Abwehr des Immunsystems ein. Es kann mit dem Arzt über eine mögliche Therapieanpassung gesprochen werden.
Thiopurine (Azathioprin/6-Mercaptopurin):
Die Abwehr des Immunsystems wird durch die Einnahme dieser Wirkstoffe eingeschränkt. Gerade die Abwehr von Viren wird durch diese Wirkstoffgruppe eingeschränkt –es kann zu schweren Infekten kommen.
Anti-TNF-Alpha (Adalimumab/Infliximab/Golimumab):
Wirkstoffe dieser Gruppe setzen die Abwehrfähigkeit des Immunsystems herab. Unsichere Patienten sollten sich mit ihrem behandelnden Arzt zusammensetzen.
Ustekinumab:
Die Infektanfälligkeit unter diesem Wirkstoff ist wahrscheinlich nicht so hoch wie unter TNF-alpha-Blockern, das geht aus ersten wissenschaftlichen Untersuchungen hervor. Das Medikament sollte nicht ohne ärztliche Rücksprache abgesetzt werden.
Vedolizumab:
Hier wird aufgrund des Wirkmechanismus keine Einschränkung des Immunsystems erwartet. Der Wirkmechanismus beschränkt sich auf die Blockade der Immunzellen, die aus der Blutbahn in die Entzündungsstellen im Darm einwandern und dort die Entzündung weiter vorantreiben. Bislang liegen nur begrenzte Daten vor, da es sich um einen relativ neuen Wirkstoff handelt.
JAK-Inhibitoren (Tofacitinib):
Vertreter dieser Wirkstoffgruppe schränken die Abwehr des Immunsystems ein. Zusammen mit dem Arzt können alternative Therapieoptionen besprochen werden, mitunter kann die Therapie auch unverändert fortgeführt werden.
Morbus Crohn kann den kompletten Verdauungstrakt von Mund über Speiseröhre bis hin zum After betreffen. Am häufigsten jedoch sind der letzte Abschnitt des Dünndarms und der Anfang des Dickdarms betroffen, oft auch beide Teile. Der Darm reagiert auf die Entzündung mit Einwölbungen und ist in seiner Funktion stark beeinträchtigt. Malabsorption, also die mangelhafte Aufnahme von wichtigen Nahrungsbestandteilen, ist die Folge. Viele Patienten leiden an Untergewicht oder Mangelernährung. Zusätzlich leiden sie unter Durchfall, der oft mehr als sechs Wochen andauern kann. In Folge der Entzündungsprozesse reagiert der Körper mit Fieber und Abgeschlagenheit.
Colitis ulcerosa betrifft den Dickdarm und verläuft meist in Schüben. Bei fortschreitenden Krankheitsverlauf entstehen Geschwüre in der Schleimhaut des Kolons. Diese Entzündung breitet sich am Mastdarm beginnend kontinuierlich im Dickdarm aus. Wie weit die betroffenen Areale reichen, ist von Patient zu Patient unterschiedlich. Am Übergang vom Dünndarm zum Dickdarm kommt die Erkrankung zum Stillstand. Im Unterschied zum Morbus Crohn, der alle Bereiche des Verdauungstrakts befallen kann, ist die Colitis Ulcerosa auf den Dickdarm begrenzt.
Bei dem aktuellen Sars-CoV-2 Virus ist noch nicht endgültig bestätigt, ob eine fäkal-orale Übertragung möglich ist. Wahrscheinlich kann keine Übertragung über Kot erfolgen – zwar kann das Virus im Stuhl nachgewiesen werden, die gefundenen Fragmente sind, dem aktuellen Kenntnisstand nach, jedoch nicht mehr replikationsfähig. In einem aktuellen Artikel der Fachzeitschrift Nature wird beschrieben, dass zwar Erbgut im Stuhl gefunden wurde, daraus aber keine Viren isoliert werden konnten, die eine Infektion auslösen können. Chinesische Forscher haben das Virus ebenfalls in oralen und analen Abstrichen sowie im Blut nachgewiesen. Sie erklären daher: „Infizierte Patienten können diesen Erreger möglicherweise über die Atemwege, den Stuhl, den Mund oder über Körperflüssigkeiten ausscheiden." Demnach könnten die Viren den Forschern zufolge auch fäkal-oral übertragen werden. Eine abschließende Beurteilung steht noch aus.
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