Eigentlich zählen Krebspatienten zur Risikogruppe für eine Infektion mit Sars-CoV-2. Eine Untersuchung aus der Schweiz zeigt jedoch, dass es bei einigen Patienten mit Prostatakarzinom in Venedig zu weniger Covid-19-Fällen kam – Grund dafür könnte die medikamentöse Therapie sein.
Die Forscher der Universität Bellinzona analysierten eine Kohorte aus Venezien von knapp 9300 Patienten, die bis zum 1. April positiv auf Sars-CoV-2 getestet wurden. Darunter waren mehr als 4500 Männer – diese hatten häufiger einen schweren Verlauf von Covid-19, mussten häufiger stationär beziehungsweise intensivmedizinisch behandelt werden und verstarben ebenfalls häufiger als Frauen. Diese Beobachtung deckt sich mit anderen Untersuchungen: Männer erkranken häufiger an Covid-19 als Frauen, der Grund dafür könnte eine höhere Konzentration des löslichen ACE2-Rezeptors sein, wie Ergebnisse im „European Heart Journal“ kürzlich zeigten.
Die Forscher betrachteten schließlich den Zusammenhang zwischen Krebserkrankungen und Covid-19: 786 der 9280 Patienten hatten eine Krebsdiagnose – das entspricht einem Anteil von 8,5 Prozent. Von den 4532 positiv getesteten Männern waren 9,5 Prozent an Krebs erkrankt, 2,6 Prozent davon an einem Prostatakarzinom. Insgesamt waren die Krebspatienten etwas älter als die übrigen infizierten Männer. Außerdem wiesen sie ein 1,8-faches Risiko für Infektionen mit Sars-CoV-2 auf, welches häufig mit schweren Verläufen und Komplikationen einherging.
Bei den Auswertungen zeigte sich jedoch eine Auffälligkeit. Während beim Prostatakarzinom das Risiko insgesamt ebenfalls erhöht war, konnte eine bestimmte Therapie zur Behandlung der Krebsart vermutlich das Risiko senken. Die Wissenschaftler nahmen sich Krebsregisterdaten aus Venezien zur Hilfe und fanden heraus, dass eine Gruppe der krebskranken Männer besonders selten an Covid-19 erkrankte: Patienten, die eine sogenannte „Androgenentzugstherapie“ im Rahmen der Behandlung erhielten, zeigten ein geringeres Risiko für eine Infektion mit Sars-CoV-2.
Von knapp 5300 Patienten mit Prostatakarzinom, die eine Androgendeprivationstherapie (ADT) erhielten, erkrankten nur vier an Covid-19. Außerdem war trotz Krebserkrankung keiner der Patienten verstorben. Die an Krebs erkrankten Männer, die eine andere Behandlung erhielten, hatten ein vierfach höheres Risiko, an Covid-19 zu erkranken, als solche mit einer ADT. Noch größer war der Unterschied zwischen Patienten unter ADT und Patienten mit anderen Krebserkrankungen.
Die Autoren könnten sich deshalb vorstellen, auch Männern mit hohem Covid-19-Risiko – jedoch ohne Prostatakarzinom – eine ADT vorbeugend zu verabreichen. Sie schagen vor, diese beispielsweise über einen Zeitraum von drei Monaten anzuwenden, um einen Schutz vor Sars-CoV-2 zu erreichen. Die Therapie könnte den Forschern zufolge jedoch auch eine Option für bereits erkrankte Patienten sein. Durch die Anwendung könne die Schwere der Symptome wahrscheinlich gemindert werden. Geeignet sind den Wissenschaftlern zufolge beispielsweise Gonadotropin-Releasing-Hormon-Antagonisten: Deren Wirkung setze innerhalb von 48 Stunden ein und sei nur vorübergehend.
Der Eintritt von Sars-CoV-2 hängt mit der Bindung des viralen Spike-Proteins an das Angiotensin-konvertierende Enzym 2 (ACE2) ab. Mittlerweile ist belegt, dass die transmembrane Serinprotease 2 (TMPRSS2) diesen Vorgang fördert. Eine Hemmung dieses Enzyms könnte daher die Symptome und damit den Verlauf von Covid-19 abschwächen – oder sogar verhindern.
TMPRSS2 hat ebenfalls Einfluss auf die Krebserkrankung: Denn es wird von einem androgenregulierten Gen kodiert. Beim Prostatakarzinom ist es hochreguliert, dadurch werden Zellproliferation und genetische Translokationen im Tumor gefördert. ADTs mit Gonadotropin-Releasing-Hormon-Antagonisten führen zu einer entsprechenden Hemmung. Diese stellt nicht nur eine Behandlungsoption für das Prostatakarzinom dar, sondern könnte den Forschern zufolge auch bei Covid-19 zum Einsatz kommen. Ein entsprechender Einsatz müsse jedoch durch entsprechende klinische Studien untermauert und bestätigt werden.
APOTHEKE ADHOC Debatte