Eine aktuelle präklinische Studie gibt Hinweise auf die Wirksamkeit von Clomipramin bei der progredienten Form der Multiplen Sklerose (MS), gegen die es bislang kaum Medikamente gibt. Das berichten kanadische und deutsche Wissenschaftler im Fachjournal „Nature Communications“.
In Deutschland leben mehr als 200.000 MS-Patienten, von denen nur etwa 10 bis 15 Prozent an der primär progrediente Form leiden. Bei dieser Form nehmen die neurologischen Symptome von Anfang an schleichend zu. Es treten keine isolierten Schübe auf, vielmehr gehen die Beschwerden ineinander über und führen häufig zu Behinderungen.
Wissenschaftler um Professor Dr. V. Wee Yong von der University of Calgary und Dr. Simon Faissner von der Ruhr-Universität Bochum screenten 1040 zugelassene Generika, die für eine präklinische Untersuchung für die MS-Therapie infrage kamen. Das Team wählte aus ihnen 249 gut verträgliche Arzneimittel aus, die im zentralen Nervensystem wirken.
An Zellkulturen testeten sie, welche der ausgewählten Substanzen Nervenzellen vor dem schädigenden Einfluss von Eisen bewahren können. Denn Zellschäden führen bei der Erkrankung dazu, dass Eisen-Ionen freigesetzt werden, die in der Folge erneut Neuronen angreifen. Letztlich blieben 35 Arzneistoffe übrig, die weiter analysiert wurden. Wichtig war den Forschern zum Beispiel, ob die Medikamente Schäden an den Mitochondrien reduzieren können oder die Leukozytenaktivität senken, die bei der Krankheit die Isolierung der Nervenzellen angreifen.
„Die Mechanismen, die bei progredienter MS zu Schädigungen führen, sind teils andere als bei der schubförmigen MS. Daher brauchen wir für Letztere andere therapeutische Ansätze“, sagt Simon Faissner, Postdoktorand von der Neurologischen Universitätsklinik am Bochumer St. Josef-Hospital. Die Versuche haben gezeigt, dass das trizyklische Antidepressivum Clomipramin infrage kommen könnte.
Im weiteren Schritt wurde die Verbindung aus der Gruppe der Dibenzazepine an Mäusen getestet, die an einer Krankheit litten, die vergleichbar mit der schubförmigen MS war. Die Labortiere hatten nach Applikation des Wirkstoffs keine neurologischen Ausfälle. Außerdem traten bei ihnen weniger Nervenzellschäden und Entzündungen auf. In einem weiteren Experiment wurden Mäuse untersucht, die eine Krankheit hatten, die der progredienten Form der MS ähnelt. Die Wissenschaftler beobachteten eine Wirkung bereits beim Auftreten der ersten klinischen Zeichen für die Krankheit. Im Gegensatz zu Tieren, die ein Placebo bekamen, hatten die Tiere der Verumgruppe weniger Lähmungserscheinungen.
„Basierend auf den vielversprechenden präklinischen Daten ist es unser langfristiges Ziel, Clomipramin und weitere Medikamente aus dem Screening in klinischen Studien an Patienten zu untersuchen“, erklärt Faissner. Ein Vorteil von generisch erhältlichen Medikamenten sei es, dass es hinreichend klinische Erfahrung hinsichtlich des Nebenwirkungspotenzials gebe. Phase-1-Studien, also Untersuchungen der Verträglichkeit an gesunden Probanden, müssten daher nicht durchgeführt werden. „Gleichzeitig liegt eine große Herausforderung in der Finanzierung derartiger Studien.“
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