Nach den Prinzipien der Natur haben die diesjährigen Nobelpreisträger Grundlagen zur Produktion von Biokraftstoffen und Medikamenten etwa gegen Arthritis entwickelt. Die Forscher hätten damit die Chemie und die Entwicklung von Arzneien revolutioniert, schreibt das Nobelkomitee in seiner am Mittwoch präsentierten Begründung. Die US-Forscherin Frances Arnold (62) erhält die Hälfte des Preises, sie ist erst die fünfte Frau unter den rund 180 Chemie-Nobelpreisträgern. Zur anderen Hälfte geht der Preis an den US-Biologen George Smith (77) und den Briten Gregory Winter (67).
George Smith entwickelte eine Methode, bei der sogenannte Bakteriophagen – Viren, die Bakterien infizieren – genutzt werden, um neue Proteine entstehen zu lassen. Dieses Phagen-Display genannte Verfahren nutzte Gregory Winter zur Produktion neuer Pharmazeutika. Frances Arnold gelang es erstmals, Enzyme gezielt in eine gewünschte Richtung zu entwickeln. Solche Enzyme werden heute für die Herstellung zahlreicher Stoffe genutzt, etwa Biokraftstoffe und Pharmazeutika.
Das Prinzip der Evolution ist einfach: Bei der Entstehung jedes Lebewesens auf der Erde baut die Natur kleine Veränderungen im Erbgut ein. Nutzen diese dem jungen Lebewesen, so hat es höhere Chancen zu überleben und wiederum Nachkommen zu erzeugen. Nach diesem System entwickelten sich Pflanzen, Fische, Affen, der Mensch - und auch Nobelpreisträger, die dieses Prinzip der Evolution wiederum für ihre Arbeit nutzten.
Arnold setzte leicht veränderte Gene für das Enzym Subtilisin in Bakterien ein, damit diese das Enzym produzieren. Dann testete sie, wie gut die so gewonnenen Enzyme funktionierten. Das Erbgut der besten setzte sie erneut in Bakterien ein. Bei jedem Durchgang wurden die Gene leicht verändert. Nach einigen Runden wirkte das Enzym 256 Mal besser als der Ausgangsstoff. So kam sie mittels Gerichteter Evolution zu den besten für ihre Zwecke benötigten Enzymen.
Heute werden Varianten des Enzyms als Waschmittelzusatz genutzt. Später wurde das Prinzip auch für Enzyme eingesetzt, die aus Zucker Biosprit oder Bioplastik machen.
Der US-Forscher Smith nutzte Viren, die Bakterien infizieren (Phagen), um gewünschte Proteine herzustellen. Die Phagen werden ebenfalls von Bakterienzellen produziert. Bei dem von Smith entwickelten Phagen-Display präsentieren Phagen verschiedene Proteine.
Winter schließlich nutzte diese Technik, um Antikörper herzustellen, die etwa in der Medizin eingesetzt werden. Einen großen Erfolg gibt es inzwischen bei der rheumatoiden Arthritis: Der Antikörper Adalimumab kam nach Angaben des Verbandes der forschenden Pharma-Unternehmen (vfa) 2003 in Deutschland auf dem Markt. Es ist eines der umsatzstärksten Medikamente weltweit.
„Es gibt kaum eine Pharmafirma, die nicht eine Abteilung für Gerichtete Evolution aufgebaut hat“, sagt Professor Dr. Manfred Reetz, Emeritus des Max-Planck-Instituts für Kohlenforschung in Mülheim, der die Technik angewandt und weiterentwickelt hat. Auch in der Krebsforschung werde sie genutzt. „Jetzt kann man Arzneimittel schneller, billiger und umweltfreundlicher herstellen.“
„Der Preis repräsentiert sehr gut, was Alfred Nobel wollte: diejenigen auszeichnen, die der Menschheit am meisten nutzen. Hier gibt es so viele Anwendungen: Es ist ein grüner Preis, weil man beispielsweise bei der Herstellung von Plastik giftige Zutaten und Schwermetalle durch biologische Moleküle ersetzen kann“, sagt Heiner Linke, Mitglied des Nobel-Komitees.
Die Produkte der Gerichteten Evolution haben nicht nur Vorteile, betont Reetz jedoch. „Es sollte meiner Meinung nach nicht erlaubt sein, Mais und andere Nahrungsmittel zu verwenden, um umweltfreundlichen Sprit herzustellen.“ Schwere Öle dagegen, die für nichts anderes zu gebrauchen seien, „die kann man mit Hilfe der Gerichteten Evolution in Biokraftstoff umwandeln“, sagt Reetz mit Verweis auf eine jüngste Arbeit des Forschers Zhi Li aus Singapur.
„Die Gerichtete Evolution hat weite Türen aufgeschlagen – positiv zu werten sind viele umweltfreundliche Methoden, es wäre aber übertrieben zu sagen, sie könne alles andere ersetzen“, meint Reetz. „Mal sind diese nun entstandenen Enzyme besser, mal moderne Methoden der klassischen Chemie. Beide gehören zusammen in den Werkzeugkasten.“
Die höchste Auszeichnung für Chemiker ist derzeit mit umgerechnet rund 870.000 Euro (9 Millionen Schwedischen Kronen) dotiert. Die feierliche Übergabe der Auszeichnungen findet traditionsgemäß am 10. Dezember statt, dem Todestag des Preisstifters Alfred Nobel.
Seit 1901 wurde der Chemie-Nobelpreis an 177 verschiedene Forscher vergeben. Einer von ihnen, der Brite Frederick Sanger, erhielt ihn sogar zweimal. Unter den Preisträgern waren bislang vier Frauen, etwa Marie Curie 1911, die die radioaktiven Elemente Polonium und Radium entdeckt und ihre Eigenschaften untersucht hatte.
Am Dienstag wurden Laser-Physiker für die Entwicklung präziser Werkzeuge aus Licht zu Nobelpreisträgern gekürt. Eine Hälfte des Preises geht an Arthur Ashkin (USA). Er ist mit 96 Jahren der älteste Mensch, der je als Nobelpreisträger benannt wurde. Gérard Mourou (Frankreich) und Donna Strickland (Kanada) teilen sich die zweite Hälfte. Strickland ist erst die dritte Frau, die mit einem Physik-Nobelpreis ausgezeichnet wird.
Am Montag waren die Preisträger in Medizin bekanntgegeben worden: Der US-Amerikaner James Allison und der Japaner Tasuku Honjo erhalten die Auszeichnung für die Entwicklung von Immuntherapien gegen Krebs.
Am Freitag folgt die Bekanntgabe des diesjährigen Friedensnobelpreisträgers. Der Literaturnobelpreis fällt in diesem Jahr nach einem Skandal im Jurygremium aus. Dafür soll er 2019 an zwei Autoren vergeben werden.
Im vergangenen Jahr hatten Jacques Dubochet (Schweiz), der gebürtige Deutsche Joachim Frank (USA) und Richard Henderson (Großbritannien) den Chemie-Nobelpreis erhalten. Sie entwickelten die sogenannte Kryo-Elektronenmikroskopie zur hochauflösenden Strukturbestimmung von Biomolekülen. Sie zeigt im Detail, wo ein Medikament anbindet.
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