Chemie-Nobelpreis für drei Erbgutforscher dpa, 07.10.2015 13:18 Uhr
Schäden im Erbgut können für Lebewesen verheerende Folgen haben. Doch die Zellen sind nicht hilflos: Sie haben Reparatur-Mechanismen. Wissenschaftler haben sie enträtselt – und bekommen den Nobelpreis.
Für die Beschreibung von Erbgut-Reparatursets erhalten drei Forscher aus Schweden, den USA und der Türkei den Chemie-Nobelpreis. Tomas Lindahl (77), Paul Modrich (69) und Aziz Sancar hätten fundamentale Erkenntnisse etwa für die Suche nach Krebsmedikamenten geliefert, gab die Königlich-Schwedische Akademie der Wissenschaften bekannt. Die höchste Auszeichnung für Chemiker ist mit umgerechnet rund 850.000 Euro (8 Millionen Schwedischen Kronen) dotiert.
Das Erbgut in den Milliarden Zellen unseres Körpers wird fortwährend beschädigt – durch UV-Licht zum Beispiel, freie Radikale oder krebserregende Substanzen in unserem Essen. Und selbst ohne solche Attacken von außen ist die DNA grundsätzlich ein instabiles Gebilde – trotz ihrer immensen Bedeutung: Sämtliche Informationen zur Funktion und zum Aussehen eines Lebewesens sind in ihr gespeichert.
Beim Menschen sind es 23 väterliche und 23 mütterliche Erbgutabschnitte, die in der befruchteten Eizelle zusammenfinden. Aus dieser etwa zwei Meter langen Basis-DNA entsteht in etlichen Milliarden Zellteilungen eine immense Menge Erbmaterial, das aneinandergefügt rund 250 Mal zur Sonne und wieder zurückreichen würde. Das verdeutlicht: Unzählige Male im Laufe eines Lebens wird unsere DNA verdoppelt und weitergegeben – und doch ähnelt die letzte Version beeindruckend genau der am Anfang unseres Lebens.
Das ist von extremer Bedeutung für unsere Gesundheit und unser Überleben. „Schäden an DNA können sehr ernsthafte Folgen haben“, sagte Nobel-Juror Claes Gustafsson. Sie spielen beim Altern eine Rolle und bei Erbgutkrankheiten, vor allem aber können sie Krebs verursachen. Das passiert immer dann, wenn Schäden am Erbgut dazu führen, dass sich die betroffene Zelle unkontrolliert zu vermehren beginnt.
Zum Glück für alle Lebewesen dieser Welt sind die Zellen der Zerstörung nicht hilflos ausgeliefert. „Tomas Lindahl spekulierte, dass es ein Reparatur-System geben muss, und machte sich auf die Suche. Und er fand tatsächlich eines“, erklärte Gustafsson. Auch Modrich und Sancar waren Pioniere auf dem Gebiet, solche Mechanismen zu beschreiben. „Es sind sehr frühe Entdeckungen, die das Forschungsfeld geöffnet haben.“ Die Ergebnisse hätten enorme Konsequenzen für die Menschheit gehabt, betonte die Chefin der Nobel-Jury, Sara Snogerup Linse.
In den frühen 1970er Jahren waren Wissenschaftler noch überzeugt, dass die DNA ein extrem stabiles Gebilde ist. Lindahl demonstrierte, dass das Molekül für sich genommen so rasch verfällt, dass die Entstehung des Lebens auf der Erde eigentlich hätte unmöglich sein müssen. Schließlich wurde das fragile Erbgut von Generation zu Generation weitergegeben, floss von Körper zu Körper, seit Hunderttausenden von Jahren. Wie brachten die Organismen das Wunder fertig, eine überraschend intakte DNA zu behalten?
Der Schwede Lindahl fand eine erste Antwort: Es gab in den Zellen eine Art Werkstatt speziell für das Erbgut. 1974 beschrieb er die grundsätzliche Funktionsweise der sogenannten Base Excision Repair (Basen-Exzisions-Reparatur). Der Mechanismus ermöglicht der Zelle, einen fehlerhaften DNA-Baustein (Nukleotid)zu entfernen und korrekt zu ersetzen. Mehrere Enzyme bearbeiten dabei den DNA-Strang. Sie schneiden schließlich das falsche Nukleotid aus und schließen die Lücke im Erbgut mit dem Richtigen. Ohne eine solche Korrektur würde sich der DNA-Fehler in immer mehr Zellen ausbreiten.
Die Nucleotide Excision Repair (Nukleotid-Exzisions-Reparatur) läuft im Prinzip ähnlich ab. Mit ihr wehrt sich die Zelle gegen UV-Schäden auf einem Teil des DNA-Strangs. Der Türke und US-Amerikaner Sancar beschrieben den Mechanismus dazu. Spezielle Enzyme schneiden das Stück aus und ersetzen es. So kann die Zellteilung – und die damit verbundene Verdopplung der DNA – reibungslos ablaufen.
Manchmal gibt es aber auch bei der Zellteilung selbst Komplikationen. Das Kopieren der DNA geht schief und es schleichen sich Fehler ein. Mit einem bestimmten Mechanismus – der Mismatch Repair (Fehlpaarungs-Reparatur) – kann die Zelle diese Fehler nach der Replikation noch reparieren. Modrich fand heraus, was für Enzyme dabei notwendig sind und wie das System funktioniert.
Bei vielen Krebsarten funktioniert zumindest einer dieser drei Mechanismen nicht oder nur unzureichend. Die betroffenen Zellen sind für ihr Überleben ganz besonders angewiesen auf noch verbleibende – was Forscher als Ansatzpunkt für Krebstherapien sehen. Mit Substanzen, die genau diese Systeme zum Stillstand bringen, ließen sich Krebszellen aushungern und die Krankheit besiegen, so die Hoffnung. Erste Ansätze dazu gibt es bereits.
Nach Orhan Pamuk (Literaturnobelpreis 2006) ist Sancar der zweite türkische Staatsbürger, der einen Nobelpreis erhält – und der erste im Bereich Chemie. Der 1946 im anatolischen Savur geborene US-Forscher hat nach Angaben der Zeitung „Hürriyet“ sieben Geschwister. Seine Eltern seien Analphabeten, hätten jedoch viel Wert auf die Bildung ihrer Kinder gelegt.
Die feierliche Überreichung der Auszeichnungen findet traditionsgemäß am 10. Dezember statt, dem Todestag des Preisstifters Alfred Nobel.
Im vergangenen Jahr erhielten der deutsche Forscher Stefan Hell sowie die US-Amerikaner Eric Betzig und William Moerner die Auszeichnung für die Erfindung superauflösender Mikroskope. Damit kann man in lebende Zellen blicken und Abläufe bei Krankheiten wie Alzheimer oder Parkinson beobachten.