Cannabis gegen Epilepsie wirksam Dr. Kerstin Neumann, 16.03.2016 08:00 Uhr
Cannabis gilt als Wundermittel: Droge, Extrakte und Fertigarzneimittel sollen gegen Multiple Sklerose (MS) ebenso einsetzbar sein wie gegen Schmerzen, Übelkeit, und Angststörungen. Klinische Evidenz ist allerdings bis heute nur vereinzelt vorhanden. Die Aktienkurse von Firmen wie GW Pharmaceuticals profitieren zuletzt eher von der Freigabe von Cannabis als Genussmittel in verschiedenen Ländern. Jetzt ist GW auch wissenschaftlich ein Durchbruch gelungen: In einer Phase-III-Studie konnte bei Kindern mit Epilepsie die Zahl der Anfälle signifikant reduziert werden.
GW hat sich auf die Erforschung cannabinoider Arzneimittel spezialisiert und untersucht potenzielle therapeutische Anwendungen von Cannabinoiden für eine Vielzahl von Krankheitsgebieten. Bislang hat der britische Hersteller mit Sativex (Cannabis sativa) in verschiedenen Ländern ein Fertigarzneimittel zur Symptomverbesserung bei Patienten mit Multipler Sklerose (MS) auf dem Markt.
Dass Cannabis-Extrakte auch bei Epilepsie helfen können, ist bereits seit längerem bekannt: Epidemiologische Studien hatten in der Vergangenheit gezeigt, dass die Einnahme von Cannabinoiden das Risiko für epileptische Anfälle reduziert. Bereits 1980 hatte eine klinische Studie an einer kleinen Patientenzahl eine gute antikonvulsive Wirkung gezeigt.
Nun soll mit Epidiolex das erste Präparat zur Behandlung der Epilepsie auf den Markt kommen. Die US-Zulassungsbehörde FDA hatte Epidiolex zur Behandlung des Dravet Syndroms bereits den Orphan-Drug-Status zuerkannt. Die seltene Form der juvenilen Epilepsie tritt bei weniger als einem von 40.000 Kindern auf und gilt bislang als nicht heilbar.
In der ersten von vier geplanten klinischen Studien der Phase III zeigte das Produkt vielversprechende Ergebnisse. 120 Kinder, im Mittel zehn Jahre alt, wurden über einen Zeitraum von 14 Wochen mit dem Cannabidiol-haltigen Sirup behandelt. Unter der Therapie konnte eine Reduktion der epileptischen Anfälle im Mittel um 39 Prozent erreicht werden; unter Placebo-Behandlung lag die Rate bei 13 Prozent.
Die Verträglichkeit des Produktes sei „ermutigend“ gewesen, so der Hersteller. 84 Prozent der gemeldeten Nebenwirkungen seien mild oder moderat ausgefallen; überwiegend handelte es sich um Benommenheit, Müdigkeit, Durchfall und Appetitlosigkeit. Allerdings: Zehn Patienten erlitten schwere Nebenwirkungen, unter Placebo-Therapie waren es drei Kinder.
In den folgenden Studien soll die Wirksamkeit und Sicherheit des Arzneimittels auch für weitere Indikationen geprüft werden. Eine Studie bei Kindern mit dem ebenfalls sehr selten auftretendem Lennox-Gastaut-Syndrom soll noch in diesem Jahr beendet werden. Weiterhin ist eine Studie zum Einsatz von Epidiolex bei fortgeschrittener Epilepsie in der Planung.
Derzeit ist Sativex das einzige in Deutschland zugelassene Arzneimittel mit einem Cannabinoid als Wirkstoff. Vertriebspartner von GW ist Allmirall. Der G-BA hatte im Rahmen der frühen Nutzenbewertung einen Hinweis auf einen Zusatznutzen gesehen.
Bionorica tritt mit seinem Fertigarzneimittel Kachexol hingegen auf der Stelle: Der bayerische Phytohersteller hatte versucht, eine Zulassung als Generikum zu bekommen. Entsprechend hatte das Unternehmen sich auf die Zulassung des Cannabis-Präparates Marinol bezogen und eine Bioäquivalenzstudie eingereicht. Der US-Konzern Abbvie besitzt in der EU derzeit allerdings keine Zulassung. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) hatte deshalb den Antrag als Generikum nicht akzeptiert und einen vollständigen Zulassungsantrag gefordert.
In Neumarkt hofft man nun, mit den Extrakten von der geplanten Freigabe von Cannabispräparaten profitieren zu können: „Wir stehen bereit und können den Apotheken sowohl Reinsubstanzen als auch standardisierte Cannabis-Extrakte zur Verfügung stellen“, sagte Firmenchef Professor Dr. Michael Popp. Durch die Übernahme des Wettbewerbers THC Pharma vor einigen Jahren habe man eine hervorragende Ausgangslage. Alle Darreichungsformen und Extrakt seien verfügbar.