Oral verabreichte Arzneimittel müssen durch den Magen, doch der saure pH-Wert kann einige Wirkstoffe zersetzen und wirkungslos machen. Magensaftresistente Überzüge sollen die empfindlichen Wirkstoffe vor Säure schützen und erst nach der Magenpassage freisetzen. Als Überzüge werden meist synthetische oder halbsynthetische Polymere verwendet. Pharmazeuten der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (MLU) ist die Herstellung einer vielversprechenden, stabilen und gut mischbaren Substanz gelungen. Die Ergebnisse wurden im Fachmagazin „Biophysical Chemistry“ veröffentlicht.
Die Pharmazeuten der MLU haben in einem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) und dem Phospholipid Forschungszentrum Heidelberg geförderten Projekt nach synthetisch hergestellten Lipiden als Träger für Medikamente gesucht, die nicht vom Magensaft angegriffen werden. Lipide bestehen aus einem wasserabweisenden und einem wasseranziehenden Teil und werden als Wirkstoffträger eingesetzt. Jedoch haben die Liposomen im Gastronintestinaltrakt Stabilitätsprobleme und werden von der Magensäure zersetzt.
Seit etwa zehn Jahren forscht Simon Drescher, Leiter der Arbeitsgruppe Biophysikalische Pharmazie der MLU, an säureresistenten Lipiden. Ziel ist es, säureempfindliche, leicht zersetzbare Arzneistoffe als orale Darreichungsform verfügbar zu machen. Dabei darf das Lipid nicht zu stabil sein, denn schließlich soll der Wirkstoff nach der Magenpassage freigesetzt werden.
Das Team hat die Mischbarkeit von drei neuen einkettigen alkylverzweigten Bolalipiden mit entweder gesättigten oder ungesättigten Phosphatidylcholinen per Diffrential-Screening-Kalorimetrie (DSC) untersucht. Bolalipide sind bipolare Amphiphile und besitzen zwei über mehrere hydrophobe Alkylketten verbundene hydrophile Kopfgruppen. Die Membran-überbrückende C32-Alkylkette der neuen Bolalipide besitzt an den Stellungen 1 und 32 unterschiedlich lange laterale Alkylketten. Die Pharmazeuten konnten zum ersten Mal zeigen, dass die einkettigen alkylverzeigten Bolalipide mit zweischichtigen Phopholipiden mischbar sind, ohne ihre liposomale Struktur zu verändern oder zu verlieren. Dies ist auf die lateralen Alkylsubstituenten, die sich neben der Phosphocholin-Kopfgruppe des Bolalipids befinden zurückzuführen.
Den Forschern ist es gelungen, Liposomen aus verschiedenen Bolalipid/Phospholipid-Gemischen herzustellen. Diese Bolasomen könnten in naher Zukunft als orale Arzneimitteltransporter eingesetzt werden. Die Gemische waren mindestens 21 Tage stabil.
Drescher untersucht im nächsten Schritt wie sich die neuartigen Liposomen in verschiedenen Flüssigkeiten wie beispielsweise künstlichem Magensaft verhalten. Die Tests sollen darüber Aufschluss geben, ob die neuen Substanzen perspektivisch für den Einsatz als Schutzmantel für säureanfällige Wirkstoffe geeignet sind. Erste Ergebnisse zeigen, dass die Liposomen aus herkömmlichen Lipiden und den neuen Bolalipiden im Magensaft stabiler sind als im Darmsaft.
Ob und wie sich die Erkenntnisse später für die Entwicklung neuer Medikamente verwenden lassen, lässt sich zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht abschätzen. Die Substanz müsste zunächst als Modell-Arzneistoff ausgewiesen werden, an dem dann im Tierversuch pharmakologische Effekte geprüft würden. Erst dann könne über Tests am Menschen entschieden werden.
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