Prophylaxe mit Antikoagulantien?

Blutgerinnsel bei Covid-19 Alexandra Negt, 12.05.2020 07:58 Uhr

Mediziner stellen häufig abnormale Blutgerinnsel bei Covid-19-Patienten fest. Eine prophylaktische Einnahme von Antikoagulantien wird diskutiert. Foto: Noppadon Seesuwan/ Shutterstock.de
Berlin - 

Mediziner berichten immer häufiger über geschwollene Beine, lila Hautausschläge und verstopfte Katheter bei Covid-19-Patienten. Rezeptoren für das neuartige Coronavirus konnten mittlerweile in einer Vielzahl menschlicher Zellen nachgewiesen werden. Das stützt die Annahme zahlreicher Wissenschaftler, dass Covid-19 nicht nur eine Atemwegserkrankung ist, sondern eine Infektion, die auf mehrere Organe übergehen kann – somit verdichtet sich der Verdacht, dass das Virus auch Thrombosen auslösen kann.

Das, was die Mediziner gerade in den Kliniken sehen, gleiche einem Sturm von Blutgerinnseln, beschreibt ein Kardiologe der Columbia University in New York City. Zwar weist jeder Patient mit einer schweren Krankheit generell das Risiko auf, Blutgerinnsel zu entwickeln, aber Krankenhauspatienten mit Covid-19 scheinen anfälliger zu sein. Erste Studien aus den Niederlanden und Frankreich legen nahe, dass 20 bis 30 Prozent der kritisch kranken Covid-19-Patienten Blutgerinnsel bekommen.

Der Grund, weshalb Covid-19-Patienten vermehrt zu Thromben neigen, ist noch nicht geklärt. Aktuell verfolgen die Mediziner zwei Ansätze: Zum einen birgt das lange Liegen ohne Bewegung generell eine erhöhte Blutgerinnsel-Gefahr. Zum anderen wurde in anderen Studien über einen sogenannten Zytokinsturm berichtet, der zur Schädigung und Entzündung der Gefäßwände führen könnte. Durch diese Schädigung könnten Abscheidungsthromben leichter entstehen. Zusätzlich steigt das Thromben-Risiko mit der Anzahl und Art der Vorerkrankungen.

Die vorliegenden Gerinnsel sind sehr unterschiedlich und unterscheiden sich von anderen Gerinnseln in einigen Punkten: Auch kleine Gefäße sind betroffen; Hämatologen des Weill Cornell Medicine College in New York City haben vermehrt auch Miniaturgerinnsel in den kleinsten Gefäßen des Körpers beobachtet. Hämatologen der medizinischen Fakultät untersuchten Lungen- und Hautproben von drei mit Sars-CoV-2 infizierten Personen und stellten fest, dass die Kapillaren mit Blutgerinnseln verstopft waren. „Diese Art von Thromben ist nicht das, was man bei jemandem erwarten würde, der gerade eine schwere Infektion hat“, erklären die Ärzte. „Das ist wirklich sehr neu.“ Diese Miniverstopfungen könnten womöglich erklären, warum manche Menschen einen kritisch niedrigen Blut-Sauerstoff-Wert haben und warum mechanische Beatmung oft nicht hilft.

Studien mit Antikoagulantien geplant

An der Columbia University in New York City starten Forscher jetzt eine klinische Studie, um die standardmäßigen gerinnungshemmenden Dosen von Blutverdünnern mit möglicherweise höheren Dosen bei Covid-19-Patienten zu vergleichen. Dabei soll die Wirksamkeit eines prophylaktischen Einsatzes von Blutverdünnern geprüft werden. Ähnliche Versuche sind für Kanada und die Schweiz geplant.

Auch Wissenschaftler des Beth Israel Deaconess Medical Center widmen sich dem Thema und haben mit einer klinischen Studie begonnen, die den Nutzen eines stärker wirksameren Blutgerinnungshemmers namens TPA (Tissue Plasminogen Activator) untersuchen soll. Dieses Medikament ist laut Angaben des Herstellers wirksamer, birgt jedoch ein höheres Risiko für schwere Blutungen.

Berichte aus New York

In New York beobachten die Ärzte des Universitätskrankenhauses Langone seit längerem abnormale Blutgerinnsel bei Patienten, die zuvor an Covid-19 erkrankt waren. „Ich hatte 40-Jährige auf meiner Intensivstation, die Blutgerinnsel in den Fingern hatten – und es sah so aus, als würde sie sie verlieren“, sagt die dort praktizierende Ärztin Shari Brosnahan. Die einzige mögliche Erklärung für diese Gerinnsel ist laut der Medizinerin Sars-CoV-2. Andere Patienten wiesen Thromben mit noch schwerwiegenderem Ausmaß auf. Bei einem der Patienten wurden sogar beide Beine und Hände nicht mehr ausreichend mit Blut versorgt, berichtet die Intensivmedizinerin. Eine Amputation sei die wahrscheinlichste Konsequenz.

Verschiedene Thromben

Thromben können nicht nur für die Extremitäten gefährlich werden. Wenn sich ein Gerinnsel löst, dann kann sich der Pfropfen aus weißen Blutplättchen an einer anderen Stelle im Körper wieder festsetzen. So können auch Lungenembolien, Herzinfarkte oder Schlaganfälle als Folge eines Blutgerinnsels auftreten. Es können drei Sorten Thromben unterschieden werden:

  • Abscheidungsthrombus
    • Wird das Endothel eines Gefäßes geschädigt, so lagern sich Thrombozyten an der Gefäßwand an, es kommt zur Thrombozytenaggregation. Durch die Aktivierung des Gerinnungssystems kommt es zur Ausbildung eines Fibrinnetzes. Aufgrund der hellen Farbe wird dieser Thrombus auch als „weißer Thrombus“ bezeichnet.
  • Gerinnungsthrombus
    • Verlangsamt sich der Blutfluss, kommt es zur lokalen Hypoxie, welche das Gerinnungssystems aktiviert. Im betroffenen Bereich kommt es zur Blutgerinnung. Der sogenannte „rote Thrombus“ hat keine Verbindung zur Gefäßwand und entspricht in seiner Farbe und Zusammensetzung normalem Blut.
  • Gemischter Thrombus
    • Als Folge auf einen Abscheidungsthrombus kann ein Gerinnungsthrombus entstehen. Zunächst führt der Abscheidungsthrombus zu einer Störung des Blutflusses, im weiteren Verlauf wird ein sekundärer Gerinnungsthrombus ausgebildet. Morphologisch zeigen sich zwei Farben: Ein heller „Kopf“ und ein dunkler „Schwanz“.