Aktualisierte Leitlinie

Blasenkarzinom: Cisplatin bleibt Standard Alexandra Negt, 12.05.2020 14:12 Uhr

Die Leitlinie zur Behandlung von Harnblasenkarzinomen wurde überarbeitet. Foto: Magic mine/ Shutterstock.com
Berlin - 

Etwa 16.500 Personen erkranken pro Jahr an einem invasiven Harnblasenkarzinom, ungefähr ein Viertel davon sind Frauen. Das mittlere Erkrankungsalter liegt bei über 70 Jahren. Trotz neuer Diagnosemethoden und medikamentösen Therapie neigt diese Tumorart dazu zu rezidivieren. Harnblasenkarzinome sind aggressiv in Bezug auf ihre Progressionshäufigkeit. Nun wurden die Leitlinienempfehlungen zur Chemo- und Immuntherapie überarbeitet. Die Deutschen Gesellschaft für Urologie und die interdisziplinäre Arbeitsgruppe BlasenCarcinom der Deutschen Krebsgesellschaft wurden für die Überarbeitung herangezogen.

Die Rezidivquote bei Harnblasenkarzinomen ist im Vergleich zu anderen Tumoren relativ hoch. Bis zu einem Drittel aller Patienten mit einem lokal begrenzten Blasentumor entwickeln innerhalb von fünf Jahren nach radikaler Zystektomie (Entfernung der gesamten Blase) eine systemische Tumorprogression. Eine Kombinationstherapie mit Cisplatin bleibt der Standard und gehört somit zur Erstlinientherapie.

Nicht alle Patienten können Cisplatin bekommen. Bei Patienten mit Nierenfunktionsminderung, Herzinsuffizienzen oder neurologischen Störungen sollten andere Wirkstoffe zum Einsatz kommen. Die S3-Leitlinie wurde um die Gruppe der Immuncheckpoint-Inhibitoren erweitert. Hierbei handelt es sich um monoklonale Antikörper, die in der Onkologie genutzt werden, um entzündungshemmende Immuncheckpoints zu blockieren. Grob gesagt kann der Körper durch Unterbrechung einer Rezeptor-Liganden-Bindung gewisse immunsupprimierende Signale abschalten und die entarteten Krebszellen wieder selbst erkennen und bekämpfen.

Erstlinientherapie

Kombinations-Chemotherapien auf Cisplatin-Basis bleiben der Standard. Das Platinderivat aus der Reihe der Schwermetallkomplexe bildet mit der Erbsubstanz der Tumorzellen‎ Metallkomplexe. Dadurch werden die Struktur und Funktionsfähigkeit gestört und in der Folge kommt der Zellstoffwechsel zum Erliegen. Am Ende stirbt die Zelle ab. Cisplatin ist nephrotoxisch und kann die Nierenfunktion dauerhaft beeinträchtigen. Deshalb eignet sich dieser Wirkstoff nicht für alle Patientengruppen. Insbesondere Patienten mit Nierenfunktionsminderung, Herzinsuffizienzen oder neurologischen Störungen sollten keine Cisplatin-Infusionen erhalten. „Für diese besondere Patientengruppe, die für eine cisplatinbasierte Chemotherapie nicht geeignet sind, können nun Immuncheckpoint-Inhibitoren eingesetzt werden, wenn die Tumorzellen PD-L1 exprimieren. Durch die neuen Checkpoint-Inhibitoren wird das körpereigene Immunsystem wieder aktiviert, zugleich kann das Wachstum der Tumorzellen verhindert werden“, erklärt Professor Dr. Margitta Retz vom Klinikum rechts der Isar München.

Zu den häufigen und schweren Nebenwirkungen von Cisplatin gehören: Knochenmarksschädigungen, Nierenschäden, Hyperurikämie, Minderung des Gehörs, gastrointestinale Beschwerden, Polyneuropathien, Schädigung des Herzmuskels, Mukositits und Stomatitis. Aufgrund dieser Nebenwirkungen sollte der Einsatz von Cisplatin bei folgenden Beschwerden nicht erfolgen: Schwerer Beeinträchtigung der Knochenmarkfunktion, eingeschränkten Nierenfunktion, Cisplatin-bedingter Neuropathie, eingeschränktem Hörvermögen, Vorliegen einer schweren Infektion‎, Exsikose und während der Schwangerschaft (Nutzen-Risiko-Abwägung).

Immuncheckpoint-Inhibitoren

Die Therapie mit Inhibitoren wie anti-PD-1, anti-PD-L1 und anti-CTLA-4-Antikörper stellt für einige Patientengruppen eine gute Alternativtherapie dar. Darüber hinaus kann das generelle Überleben von Tumorpatienten verlängert werden. „Die Immuntherapie ist ein neuer Standard in der Zweitlinienbehandlung und eröffnet für Betroffene neue Therapiemöglichkeiten. Wichtig ist eine ausführliche Aufklärung der Patientinnen und Patienten vor Therapiebeginn über die Nebenwirkungen, die selbst Monate nach der Behandlung auftreten können“, berichtet Professor Dr. Jürgen Gschwend vom Klinikum rechts der Isar München. Zu den Wirkstoffen gehören beispielsweise Ipilimumab und Nivolumab (Brystol-Myers Squibb), Atezolizumab (Roche) und Durvalumab (Astra Zeneca).

Ein Nachteil der Immuncheckpoint-Inhibitoren ist das Nebenwirkungsprofil. Durch eine Aktivierung des Immunsystems kommt es bei fast allen Patienten zu autoimmunen Nebenwirkungen. Laut Medizinern, die eine umfangreiche Literaturecherche bei Pubmed betrieben, könnten diese bei 17 bis 59 Prozent der Patienten schwer oder lebensbedrohlich ausfallen. Aufgrund dessen, dass die Wirkstoffe noch relativ neu sind und die unerwünschten Arzneimittelwirkungen zahlreich, empfehlen Mediziner den Einsatz ausschließlich in erfahrenen onkologischen Zentren durchzuführen. Der Aufbau eines interdisziplinären Tox-Teams könnte laut Experten beim komplexen Management der Therapie hilfreich sein.