Risiko Interferenz

Biotin kann Laborwerte verfälschen

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Berlin -

Der menschliche Körper kann Biotin nicht selbst bilden und ist somit auf die Zufuhr über die Nahrung angewiesen. Vitamin H ist aber auch Bestandteil von Nahrungsergänzungsmitteln oder selbst als Arzneimittel erhältlich. Doch das wasserlösliche Vitamin kann zu Interferenzen bei klinischen Laboruntersuchungen führen. Der Ausschuss für Risikobewertung im Bereich der Pharmakovigilanz (PRAC) der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) hat daher Empfehlungen für die Änderung der Produktinformation ausgesprochen.

Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) hatte auf europäischer Ebene ein Signalbewertungsverfahren initiiert. Ausgelöst wurde dieses aufgrund einer erhöhten Anzahl von Fallberichten zu verfälschten Ergebnissen von Laboruntersuchungen, wenn die Patienten Biotin eingenommen hatten. Die Interferenzen bergen das Risiko für verzögerte Diagnosestellungen, Fehldiagnosen oder unnötige Behandlungen, schreibt das BfArM im Bulletin zur Arzneimittelsicherheit. Betroffen sind Assays, die auf einem Biotin-Streptavidin-Testprinzip beruhen und beispielsweise für die Bestimmung der Schilddrüsenhormone oder für die Messung kardialer Marker eingesetzt werden.

In dem Immunoassays dienen die Streptavin-beschichteten magnetischen Partikel an der Festphase der spezifischen Erkennung und Bindung von bioinylierten Antikörpern, die wiederum mit dem Analyten gekoppelt sind. Führt der Patient dem Körper Biotin zu, kann das exogene Vitamin H Biointerferenzen verursachen. Denn das Biotin der zu untersuchenden Blutprobe konkurriert mit dem im Assay befindlichen biotinylierten Antikörpern um die Bindungsstellen. Wird ein Sandwichassay verwendet, können falsch niedrige Ergebnisse in der Laboranalyse ermittelt werden. Bei kompetetiven Immunoassays sind falsch erhöhte Werte zu erwarten.

Wie stark das Laborergebnis verfälscht werden kann, hängt von verschiedenen Faktoren ab. Mögliche Störeffekte sind beispielsweise die Anwendungsdauer und die verabreichte Biotindosis, der Abstand zwischen der letzten Biotingabe und der Probenentnahme oder auch die Anfälligkeit des im Labor verwendeten Assays.

In den USA verstarb laut einem Bericht der US-Arzneimittelbehörde FDA ein Multiple-Sklerose-Patient, der mit einer Hochdosis-Biotin-Therapie behandelt wurde und aufgrund von Brustschmerzen in die Notaufnahme gebracht wurde. Die Bestimmung der kardialen Marker, zeigte für Troponin (Biomarker für einen Myokardinfarkt) ein falsch negatives Ergebnis. Andere in klinischen Studien und Fallberichten beschriebene Interferenzen betreffen laut BfArM falsch erhöhte Estradiolwerte und falsch erniedrigte Parathormon- oder TSH-Werte. Eine 45-jährige Frau, die täglich 5 mg Biotin substituiert hatte, zeigte im Labor einen deutlich erhöhten Estradiolwert von 6756 pmol/ L. Nach Absetzen von Biotin normalisierte sich der Wert wieder auf 244 pmo/ L). Eine 69-Jährige zeigte fehlerhafte TSH-Werte, weil sie täglich 300 µg Biotin substituierte. Die Patientin wurde bereits für eine Radio-Iod-Therapie in Betracht gezogen. Die Erkenntnis, dass das Biotin zu einem fehlerhaften Laborwert geführt hat, kam noch rechtzeitig. Denn bereits zwei Tage nach Ende der Substitution zeigte derselbe Assay TSH-Werte im Referenzbereich. Apotheker sollten daher bei der Abgabe von Biotin-haltigen Präparaten auf das Risiko möglicher Interferenzen bei Blutuntersuchungen hinweisen.

Der PRAC empfiehlt entsprechende Hinweise über mögliche Auswirkungen auf Laboruntersuchungen in die Produktinformation aufzunehmen. Betroffen sind orale Darreichungsformen mit ≥ 150 μg Biotin pro Dosis und parenterale Zubereitungen mit ≥ 60 μg Biotin pro Dosiseinheit. Die Fachinformation soll in Abschnitt 4.4. „Besondere Warnhinweise und Vorsichtsmaßnahmen“ wie folgt erweitert werden: „Biotin kann klinische Labortests beeinflussen, die auf einer Biotin- Streptavidin-Wechselwirkung beruhen. Je nach Assay können falsch niedrige oder falsch erhöhte Testergebnisse ermittelt werden. Das Interferenzrisiko ist bei Kindern und Patienten mit eingeschränkter Nierenfunktion erhöht und steigt mit höheren Dosen. Bei der Interpretation der Ergebnisse von Labortests ist eine mögliche Biotininterferenz zu berücksichtigen, insbesondere wenn eine mangelnde Kohärenz mit dem klinischen Erscheinungsbild beobachtet wird (zum Beispiel bei Ergebnissen einer Schilddrüsenuntersuchung, die auf Morbus Basedow bei asymptomatischen Patienten hinweist, weil die Patienten Biotin einnehmen, oder falsch negative Troponintestergebnisse bei Patienten mit Myokardinfarkt). Bei Verdacht auf eine Interferenz sollten alternative Tests verwendet werden, die nicht für eine Interferenz mit Biotin anfällig sind. Das Laborpersonal sollte bei der Bestellung von Labortests bei Patienten, die Biotin einnehmen, konsultiert werden.“

Die PRAC-Empfehlung sieht auch eine Erweiterung der Gebrauchsinformationen vor. „[Produktname] enthält <Menge> Biotin pro <Dosiseinheit>. Wenn Sie sich einem Labortest unterziehen, müssen Sie Ihrem Arzt oder dem Laborpersonal mitteilen, dass Sie [Produktname] nehmen oder kürzlich eingenommen haben, da Biotin die Ergebnisse solcher Tests beeinflussen kann. Je nach Test können die Ergebnisse aufgrund von Biotin falsch erhöht oder falsch niedrig sein. Ihr Arzt kann Sie vor der Durchführung von Labortests bitten, die Einnahme von [Produktname] zu beenden. Sie sollten sich auch bewusst sein, dass andere Produkte, die Sie einnehmen, wie Multivitamine oder Nahrungsergänzungsmittel für Haare, Haut und Nägel, auch Biotin enthalten und die Ergebnisse von Labortests beeinflussen können. Bitte informieren Sie Ihren Arzt oder das Laborpersonal, wenn Sie solche Produkte einnehmen.“

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