Biotechnologie

Medikamente aus dem Bioreaktor

, Uhr
Berlin -

Pflanzen produzieren zahlreiche Sekundärmetabolite, die sich bei der Behandlung schwerer Erkrankungen wie Parkinson oder Krebs einsetzen lassen. Die Gewinnung ist jedoch schwierig: Häufig sind die Stoffwechselwege so komplex, dass die biotechnologische Herstellung der Zielsubstanz nicht rentabel ist. In einem Forschungsprojekt versuchen Wissenschaftler des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT), das Problem mithilfe eines mikrofluidischen Bioreaktors zu lösen. Durch miteinander gekoppelte Module wird komplexes Pflanzengewebe technisch imitiert, um Wirkstoffe effektiver und günstiger zu gewinnen als bislang.

Nach aktuellen Schätzungen bilden Pflanzen etwa eine Million Sekundärmetabolite, die nicht wie Aminosäuren oder Zucker absolut lebensnotwendig sind. Für die Pflanzen sind diese Stoffe dennoch wichtig: Sie dienen beispielsweise zur Abwehr von Fressfeinden oder als Signalstoffe zur Steuerungen biologischer Funktionen. Diese Eigenschaften machen die Stoffe aus pharmazeutischer Sicht interessant: Ihre biologische Aktivität macht die Sekundärmetabolite zu wertvollen Arzneistoffen, die beispielsweise das Wachstum von Krebszellen hemmen oder die Bildung der für Alzheimer typischen Plaques im Gehirn verringern.

Viele dieser wertvollen Inhaltsstoffe können jedoch nicht synthetisch hergestellt werden. Die Molekülstrukturen sind oft hochkompliziert; vor allem wegen ihrer stereochemischen Eigenschaften können die Stoffe im Labor nur selten und mit hohem technologischem und finanziellem Aufwand nachgebaut werden. Ist dies gar nicht möglich, müssen die Stoffe deshalb direkt aus den Wildpflanzen extrahiert und aufgereinigt werden.

Viele der Pflanzen sind allerdings selten und bedroht: Beispielsweise wurde die Pazifische Eibe durch die Entdeckung des Krebsmittels Taxol (Paclitaxel) an den Rand der Ausrottung gebracht. Biotechnologische Ansätze zur Gewinnung solcher Wirkstoffe gelten daher für eine nachhaltige Produktion der Substanzen als hochinteressant.

Die zugrunde liegenden Stoffwechselwege der Sekundärmetabolite in den Pflanzen sind sehr komplex. Die chemischen Prozesse finden zudem nur selten in einer einzigen Pflanzenzelle statt, sondern können von der Wurzel bis zum Blatt über das gesamte Pflanzengewebe auf spezialisierte Zelltypen verteilt sein. So können zwar einige pflanzliche Arzneistoffe wie Paclitaxel auch ressourcenschonend durch Kultivierung von Pflanzenzellen im Labor hergestellt werden. Bei anderen Substanzen sind eine einfache Zellkultur oder gentechnisch veränderte Mikroorganismen hingegen nicht geeignet.

In einem Forschungsprojekt wollen die Wissenschaftler deshalb Pflanzengewebe mit unterschiedlichen Zelltypen technisch nachbilden – mit einem sogenannten mikrofluidischen Bioreaktor. Dieser besteht aus einer Reihe von Modulen, in denen je ein Zelltyp kultiviert wird. Die Zellen sind mittels Genetic Engineering so verändert, dass jeweils ein metabolisches Schlüsselenzym überexprimiert ist. So wird gewährleistet, dass eine ausreichende Menge des gewünschten Stoffes beziehungsweise einer Zwischenstufe produziert werden kann.

Die einzelnen Kompartimente werden über Kanäle miteinander verbunden. Ziel ist es, dass Stoffwechselprodukte eines Zelltyps in das nächste Modul gelangen und dort weiterverarbeitet werden, ohne dass sich die unterschiedlichen Zelltypen vermischen. Die gewünschten Zielsubstanzen sollen anschließend aus dem Durchfluss extrahiert und „geerntet“ werden.

Durch den modularen Aufbau des Systems bieten sich auch Variationsmöglichkeiten: Je nach Anordnung der einzelnen Bioreaktoren lassen sich verschiedene Kombinationen einer Grundstruktur erzeugen, die zu unterschiedlichen Wirkstoffen führen können – also auch zu Derivaten, die in der Natur eigentlich gar nicht vorkommen.

Das Projekt wird vom Bundesforschungsministerium über zwei Jahre mit 750.000 Euro gefördert. Die Forscher des KIT bringen dabei ihre Erfahrungen in der molekularen Zellbiologie ein. Außerdem kümmern sie sich um die Entwicklung der Bioreaktoren, deren Mikro-Montage und die Verschaltung zu einem funktionsfähigen Gesamtsystem. Industriepartner Phyton liefert die nötige Expertise und Infrastruktur, um die Anwendungsmöglichkeiten auf industriellem Maßstab auszuloten.

Ein erstes Pilotprojekt ist bereits erfolgreich durchgeführt worden: Über mehrere Jahre haben die Karlsruher Forscher den Prototypen eines Fermenters entwickelt, in dem Zellen der Tabakpflanze dauerhaft kultiviert werden. Über den Tabak-Alkaloid-Weg wird der Anti-Alzheimer-Wirkstoff Nornicotin gebildet. Die biologische Aktivität der Zellen in den Modulen bleibt dabei vollständig erhalten. Mit dem Bioreaktor-System können je nach Entwicklungsstand der Zellen unterschiedliche Derivate des natürlich vorkommenden Alkaloids gebildet und im Durchfluss abgeerntet werden.

Newsletter
Das Wichtigste des Tages direkt in Ihr Postfach. Kostenlos!

Hinweis zum Newsletter & Datenschutz

Mehr zum Thema
Hormonhaushalt im Gleichgewicht
Eisbaden: Gesundheits-Booster für Frauen
Novo Nordisk veröffentlicht Studienergebnisse
CagriSema: Enttäuschende Ergebnisse für Ozempic-Nachfolger
Mehr aus Ressort
Pankreatitis als Nebenwirkung
Mounjaro: Tod nach Abnehmspritze
Produktion wird eingestellt
Aus für Fumaderm

APOTHEKE ADHOC Debatte