Der Europäische Gerichtshof (EuGH) muss sich mit der Frage befassen, ob der Handel mit pseudoephedrinhaltigen Arzneimitteln schon wegen der enthaltenen Grundstoffe Beschränkungen unterliegt. Der Bundesgerichtshof (BGH) war sich bei der Auslegung einer EU-Richtlinie nicht sicher – wegen der deutschen Grammatik. Die Karlsruher Richter haben die Frage in Luxemburg vorgelegt. Zumindest für den Export solcher Arzneimittel in Länder außerhalb der EU gibt es seit Jahresbeginn strenge Regeln.
In dem BGH-Verfahren ging es um den Erwerb von pseudoephedrinhaltigen Arzneimitteln zur Herstellung von Methamphetamin („Crystal“). Einer der Angeklagten hatte zwischen August 2010 und März 2011 in einer deutschen Apotheke große Mengen Reactine duo, Rhinopront und Zyrtec-D gekauft und nach Tschechien gebracht.
Zusammen mit weiteren Einkäufen im ungarischen Budapest hatte der Angeklagte eine Gesamtmenge von knapp 30 Kilogramm Pseudoephedrin besorgt, was knapp 7 Kilogramm Methamphetamin ergab.
Der zweite Angeklagte war als Kurier am Transport der Arzneimittel von Deutschland nach Tschechien beteiligt. Je nach Auslegung der EU-Vorschriften hat er sich damit der Beihilfe schuldig gemacht oder nicht. Strafrechtlich geht es um Verstöße gegen das Grundstoffüberwachungsgesetz (GÜG).
Die Grundstoffe werden durch deutsches Recht sowie eine EU-Richtlinie bestimmt. Pseudoephedrin zählt zu den „erfassten Stoffen“. Ausgenommen sind davon allerdings Arzneimittel. Für den BGH ist fraglich, ob dies auch für Arzneimittel gilt, aus denen der kritische Grundstoff sehr leicht gewonnen werden kann – wie bei Pseudoephedrin der Fall.
Denn in der deutschen Fassung der EU-Richtlinie sind mehrere Ausnahmen aufgezählt: Auf Arzneimittel folgen „pharmazeutische Zubereitungen, Mischungen, Naturprodukte und sonstige Zubereitungen, die erfasste Stoffe enthalten und so zusammengesetzt sind, dass sie nicht einfach verwendet oder leicht und wirtschaftlich extrahiert werden können“.
Der letzte Relativsatz macht dem BGH Kopfschmerzen, da er sich entweder nur auf das Substantiv davor oder auf alle davor genannten beziehen kann. In diesem Fall könnten auch Arzneimittel als Grundstoffe angesehen werden, deren Besitz illegal ist.
Der Vergleich mit der englischen und französischen Fassung der Richtlinie hat die BGH-Richter nicht weitergebracht. Der Wortlaut lege allerdings nahe, dass Arzneimittel grundsätzlich ausgenommen seien. Auch die EU-Kommission habe sich entsprechend klarstellend geäußert.
Für den Fall vor dem BGH ist aber eine exakte Auslegung entscheidend: Das Landgericht München II hatte einen Angeklagten zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten verurteilt. Fraglich ist hier, ob ein Verstoß gegen das GÜG berücksichtigt werden muss oder nicht.
Davon hängt wiederum ab, ob sich der zweite Angeklagte als Kurier überhaupt der Beihilfe schuldig gemacht hat. Hierzu sei ein Verstoß gegen das GÜG zwingende Voraussetzung, so der BGH in seiner Vorlage vom 5. Dezember. Wegen der verhängten Haftstrafen bittet der BGH um ein beschleunigtes Verfahren in Luxemburg.
Wenige Tage nach der Vorlage des BGH, am 10. Dezember, haben das EU-Parlament und der Rat eine neue Verordnung erlassen: Endverbaucher benötigen für den Bezug bestimmter Grundstoffe jetzt eine Erlaubnis.
Auch Apotheken dürfen Ephedrin, Pseudoephedrin, Ergotamin und Alpha-Phenylacetyl-Acetonitril (APAAN) als Grundstoffe nur an Kunden mit entsprechender Erlaubnis abgeben.
In Deutschland wird diese Erlaubnis von der Bundesopiumstelle ausgestellt. Die EU-Verordnung ist am 30. Dezember in Kraft getreten. Ab Juli 2015 gilt die Erlaubnispflicht außerdem für Essigsäureanhydrid, das in der Heroin-Herstellung verwendet wird.
Zeitgleich hat die EU mit einer weiteren Verordnung den Handel mit Ephedrin- oder Pseudoephedrin-haltige Arzneimitteln außerhalb der EU geregelt. Vor der Ausfuhr solcher Arzneimittel muss neuerdings eine Genehmigung eingeholt werden. Damit soll der Vertrieb der Arzneimittel kontrolliert werden, ohne den legalen Handel zu behindern, heißt es. In der Anlage mit den „erfassten Stoffen“ wurde eigens eine neue Kategorie für diese Arzneimittel eingeführt.
In deutschen Apotheken – vor allem in Bayern und Sachsen – hatte es in der Vergangenheit wiederholt missbräuchliche Einkäufe pseudoephedrin-haltiger Arzneimittel gegeben. Hintergrund war, dass in Tschechien der Handel mit diesen Präparaten seit 2009 beschränkt ist.
Doch nachdem im Jahr 2011 hierzulande Präparate mit mehr als 720 Milligramm Pseudoephedrin pro Packung verschreibungspflichtig wurden, hat sich das Problem entschärft.
APOTHEKE ADHOC Debatte