Tramadol ist kein Betäubungsmittel, aber das Abhängigkeits- und Missbrauchspotenzial sind groß, wie eine Spiegel-Recherche zeigt. In der Kritik steht auch das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM). Doch die Expert:innen machen klar: Neue Erkenntnisse zu Missbrauch und Abhängigkeit liegen bisher nicht vor. Daher wird das Risiko weiter als gering eingestuft.
Weil eine geforderte Unterstellung unter das Betäubungsmittelgesetz (BtMG) bereits im Jahr 2011 scheiterte, gelten Tramadol-haltige Präparate bis heute nicht als BtM, sondern sind auf einem normalen Rezept in der Apotheke erhältlich. Ein „fataler Fehler“, so das Urteil im Spiegel-Beitrag. Denn dies erhöhe die Gefahr für Missbrauch und Abhängigkeit.
Doch wie das BfArM erklärt, erfordere es stets Kompromisse, sowohl die Bevölkerung mit „wirksamen, sicheren und bezahlbaren Arzneimitteln“ zu versorgen, als auch „soweit als möglich vor Missbrauch und Abhängigkeit“ zu schützen. Genau sei der wesentliche Zweck des BtMG „die notwendige medizinische Versorgung der Bevölkerung sicherzustellen, daneben aber den Mißbrauch von Betäubungsmitteln oder die missbräuchliche Herstellung ausgenommener Zubereitungen sowie das Entstehen oder Erhalten einer Betäubungsmittelabhängigkeit soweit wie möglich auszuschließen“, so ein Sprecher mit Verweis auf § 5 Absatz 1 Nr. 6.
Zu den Hintergründen für die Entscheidung des Sachverständigenausschusses für Betäubungsmittel gegen eine BtM-Pflicht für Tramadol macht das BfArM klar, dass dieser „eine umfangreiche Befassung durch eine eigens gegründete Arbeitsgruppe“ vorausgegangen sei. Noch bevor die externen Sachverständigen ihre Arbeit aufnehmen konnten, seien bereits im Mai des Vorjahres (2010) Erklärungen zur persönlichen Unabhängigkeit bezüglich der Stoffe Tramadol und Tilidin der Beteiligten eingefordert und dabei keine Interessenkonflikte festgestellt worden. „Vertreterinnen und Vertreter der pharmazeutischen Verbände wurden von der Auswertung der wissenschaftlichen Daten innerhalb der Arbeitsgruppe ausgeschlossen.“
Auf Basis aller zu diesem Zeitpunkt verfügbaren Informationen habe die zuständige Arbeitsgruppe für Tramadol in der 38. Sitzung am 5. Dezember 2011 als Empfehlung an die Bundesregierung unter anderem folgender Beschluss gefasst: „Der Wirkstoff Tramadol sollte nicht in die Anlagen I-III zu § 1 BtMG aufgenommen werden.“ Einer der Gründe: „Tramadol unterscheidet sich hinsichtlich Wirkmechanismus, Wirksamkeit und Nebenwirkungen von allen anderen Opioidanalgetika und Nichtopioid-Analgetika und kann nicht durch diese ersetzt werden. […] Die Unterstellung von Tramadol in die Anlage III des BMG würde die Schmerztherapie verschlechtern“, heißt es im Protokoll. Hinzukommt, dass die Sachverständigen lediglich ein vergleichsweise geringes Missbrauchspotenzial festgestellt haben.
Neue, von dieser Empfehlung abweichende Erkenntnisse dazu liegen laut BfArM derzeit nicht vor. Die Expert:innen beobachten und bewerten jedoch generell Arzneimittelrisiken und mögliche Veränderung der wissenschaftlichen Datenlage beziehungsweise eine Veränderung des feststellbaren Missbrauchs beziehungsweise der behandlungsbedürftigen Abhängigkeit stets engmaschig und stoßen bei Bedarf wirkungsvolle Maßnahmen für die Patientensicherheit an, so die Aussage. „Dies gilt für alle Maßnahmen, die darauf abzielen, Missbrauch zu reduzieren – also auch die notwendige Sensibilisierung, u.a. mit Blick auf mögliche Rezeptfälschungen. Aktuell liegen jedoch keine Informationen vor, die eine geänderte Einschätzung für Deutschland begründen könnten.“ Grundlage hierfür sei die sich derzeit in der Überarbeitung befindende Leitlinie der Weltgesundheitsorganisation.
Dennoch verweist das BfArM auf das im letzten Jahr durchgeführte periodische, die Sicherheitsberichte bewertende Verfahren auf EU-Ebene, auf dessen Basis die Fach- und Gebrauchsinformationen Tramadol-haltiger Arzneimittel unter anderem um einen Warnhinweis zum Missbrauchs- und Abhängigkeitspotenzial ergänzt werden mussten – auch wenn das Risiko dafür gering sei. „Damit soll sichergestellt werden, dass sowohl Ärztinnen und Ärzte bei der Verschreibung, Apothekerinnen und Apotheker bei der Abgabe als auch Patientinnen und Patienten bei der Anwendung bestmöglich informiert und sensibilisiert werden.“