BfArM: Cannabis enttäuscht viele Patienten Tobias Lau, 06.06.2019 08:04 Uhr
Die Hoffnungen, die viele Patienten mit der Legalisierung von Cannabis als Arzneimittel verbunden haben, wurden in vielen Fällen offenbar enttäuscht. Das legen Zahlen aus einem kürzlich veröffentlichten Zwischenbericht zur Begleiterhebung des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) nahe. Demnach brechen vor allem Schmerzpatienten ihre Behandlung häufig ab, entweder wegen mangelnder Wirkung oder zu starker Nebenwirkungen.
Schmerzpatienten bilden laut den BfArM-Zahlen die absolute Mehrheit unter den Cannabis-Anwendern: In rund 69 Prozent der Fälle wurde die Verordnung demnach mit der Diagnose Schmerz begründet. Mit großem Abstand folgen Spastiken (11 Prozent), Anorexie/ Wasting-Syndrom (8 Prozent), Übelkeit/ Erbrechen (4 Prozent) sowie Depression (3 Prozent) und ADHS (2 Prozent). Auf alle anderen Indikationen entfallen jeweils 1 Prozent oder weniger, darunter Epilepsie, Inappetenz, entzündliche Darmkrankheiten, Tourette-Syndrom und Insomnie.
Die ersten Ergebnisse der Begleiterhebung zeigen darüber hinaus, dass es vor allem mittelalte bis ältere Schmerzpatienten sind, die mit Cannabis behandelt werden – und die meist schon eine lange Leidensgeschichte hinter sich haben. Rund 70 Prozent der Betroffenen sind 50 Jahre oder älter, mehr als jeder vierte Patient ist zwischen 50 und 59. Immerhin jeder zehnte ist über 80 Jahre alt. Damit gibt es mehr legale Cannabis-Konsumenten über 80 als unter 30.
Und viele von ihnen haben schon jahrelange Leidensgeschichten, was nicht zuletzt daran liegen dürfte, dass vor einer Cannabis-Verordnung in der Regel alle medizinischen Standardtherapien ausgeschöpft sein müssen. Von 3138 registrierten Schmerzpatienten dauerte die Symptomatik bereits zwölf Jahre oder länger an, bei mehr als 400 weiteren waren es 10 bis 12 Jahre. Bei rund 350 waren es sieben bis neun Jahre. Das dabei mit Abstand am häufigsten verwendete Arzneimittel war Dronabinol, unter anderem als Rezeptur oder als Marinol. Es folgen Cannabisblüten, das Fertigsarzneimittel Sativex, Cannabisextrakt und Nabilon.
Dass die bei Schmerzpatienten nicht immer die gewünschte Wirkung entfalten, legen weitere Zahlen nahe: 44,8 Prozent der Therapieabbrüche erfolgen demnach wegen nicht ausreichender Wirkung, jeder zehnte Abbruch erfolgte wegen des Ablebens des Patienten. 1,9 Prozent der Abbrüche erfolgten demnach, weil keine weitere Therapienotwednigkeit für Cannabisarzneimittel herrschte und 11 Prozent aus anderen Gründen. Mit 31 Prozent erfolgte fast ein Drittel der Therapieabbrüche aufgrund der Nebenwirkungen – jedoch nur 0,3 Prozent wegen Wechselwirkungen mit anderen Arzneimitteln.
Bei den beobachteten Nebenwirkungen kamen Müdigkeit und Schwindel mit 16,3 und 12,5 Prozent am häufigsten vor. Mit etwas Abstand folgen darauf Übelkeit (7,4 Prozent), Schläfrigkeit (7 Prozent), Aufmerksamkeitsstörungen (6,4 Prozent) und Mundtrockenheit (5,9 Prozent). Auch Appetitsteigerung – oft eine gewünschte Wirkung von Cannabisarzneimitteln – wird als Nebenwirkung geführt, sie kam demnach bei 5,1 Prozent der Patienten vor. Auch Gedächtnis- und Gleichgewichtsstörungen waren mit 4,3 und 4,2 Prozent vertreten. Insgesamt betrug die Zahl der Abbrüche laut Erhebung 1179. In den anderen Kategorien wurden je 3138 Schmerzpatienten angeführt. Das entspräche einer Abbruchquote von knapp 38 Prozent.
Insgesamt lagen der zum BfArM gehörigen Bundesopiumstelle zum Stichtag für die Zwischenauswertung am 26. März 4774 vollständige Datensätze vor. Das Gesetz zur Freigabe von medizinischem Cannabis vom März 2017 ordnete auch die Durchführung einer nicht-interventionellen Begleiterhebung an, bei der die Ärzte dem BfArM die erforderlichen Daten mittels eines Online-Portals in anonymisierter Form übermitteln. Ausgenommen sind Privatversicherte sowie Patienten, denen die einzigen beiden derzeit zugelassenen Cannabis-Fertigarzneimittel Sativex und Canemes verschrieben werden. Die Erhebung soll noch bis 2022 durchgeführt werden. Die erste Zwischenauswertung bezog sich vor allem auf Schmerzpatienten und zeigt laut BfArM „weitestgehend erwartbare Resultate“.