Lieferengpässe in Apotheken

„Beschämend für unser Gesundheitswesen“

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Frankfurt/Main -

Immer häufiger bekommen Patienten nicht das Medikament, das ihnen verschrieben wurde. Woran liegt das? Und was kann man dagegen tun?

Apothekerin Uta Böger blickt besorgt auf den Bildschirm: Rote Punkte zeigen an, welche Medikamente derzeit nicht verfügbar sind. Es sind viele – und werden ständig mehr, wie die 51-Jährige feststellen muss. Die ausgedruckte Liste der fehlenden Arzneimittel ist inzwischen drei eng bedruckte Seiten lang: 170 Artikel aus ihrem rund 4500 Produkte umfassenden Lager seien „seit langem und auf unbestimmte Zeit“ nicht lieferbar.

Wie der Sertürner-Apotheke im Frankfurter Stadtteil Griesheim gehe es seit Monaten allen Apotheken, sagt die Landesapothekerkammer Hessen. Die Kassenärztliche Vereinigung Hessen spricht von einem „unwürdigen“ Zustand auf Kosten der Patienten. Diesmal trifft es einen Patienten, der den Blutdrucksenker Candesartan verordnet bekam, 16 Milligramm, 98 Stück. Drei Hersteller kämen für den AOK-Patienten in Frage – aber keiner kann liefern.

Böger geht die Alternativen durch: kleinere oder größere Packung? Doppelt so starke Tabletten, die der Patient teilen muss? Bevor sie eine Alternative bestellen kann, muss sie den Arzt anrufen, manchmal auch mailen oder faxen. Die Praxis muss das Rezept ändern und neu an die Apotheke schicken. Dann erst kann Böger bestellen und den Patienten – notfalls per Boten – beliefern. „Der Aufwand ist enorm“, sagt die Apothekerin, aber das sei nicht das Schlimmste: „Wir haben einen Versorgungsauftrag – und den können wir nicht erfüllen.“

Und die Patienten? Sie reagierten meist erstmal ungläubig, dann verunsichert und seien am Ende oft auch überfordert. Wenn die Packung anders aussieht, die Tabletten eine andere Farbe oder Form haben, „dann sinkt die Compliance“: Es komme leichter zu Verwechslungen oder Fehleinnahmen. Im schlimmsten Fall muss Böger die Patienten zurück zum Arzt schicken, damit der sie auf ein neues Medikament einstellt. „Die Politik macht sich keine Gedanken, was das für Patienten bedeutet“, sagt Uta Böger.

Die Landesapothekerkammer Hessen kennt die Klagen – und die Gründe. In manchen Fällen gerät zum Beispiel die Wirkstoffproduktion ins Stocken. „Immer weniger pharmazeutische Unternehmen stellen Wirkstoffe selber her“, erklärt Kammerpräsidentin Ursula Funke. Aus Kostengründen werden vieles in Fernost und Indien hergestellt. In den globalen Produktionsprozessen komme es manchmal zu Problemen, zum Beispiel wenn der Herstellungsprozess umgestellt wird oder Qualitätsmängel festgestellt werden.

Wird ein Produkt knapp, sollte es genügend Alternativen geben, müsste man meinen. Hier aber kommen die sogenannten Rabattverträge ins Spiel. Die Krankenkassen bekommen von bestimmten Herstellern Preisnachlässe für eine garantierte Mindestabnahme. Damit sind die Apotheken darauf beschränkt, je nach Kasse des Patienten nur die Produkte bestimmter Hersteller herauszugeben. Mitte 2019 ist noch eine weitere Beschränkung dazugekommen: der sogenannte Preisanker, bei dem der Arzt mit der Verschreibung einen Höchstpreis festlegt. Dahinter steckt auch ein politisches Problem: Die Pharmahersteller sind nicht verpflichtet, einen drohenden Engpass zu melden.

Zwei Institutionen in Deutschland listen Versorgungsengpässe auf: Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) führt die Datenbank für nicht lieferbare Arzneimittel, das Paul-Ehrlich-Institut für Impfstoffe. Nur bei Impfstoffen ist die Meldung verpflichtend, bei Arzneimitteln ist sie freiwillig. Funke sieht die Politik gefordert. Rabattverträge sollten immer mit mehreren Herstellern geschlossen werden. „Und bei lebensnotwendigen Medikamenten wäre es sinnvoll, wenn die Produktion wieder nach Europa verlagert wird.“

Das hessische Sozialministerium kann nach eigenem Bekunden nichts tun: „Im Arzneimittelbereich liegt die Gesetzgebungskompetenz beim Bund“, beantwortete das Ministerium eine entsprechende Anfrage. Auch die Kassenärztliche Vereinigung Hessen schlägt Alarm. Bei der jüngsten Vertreterversammlung beklagten die Ärzte, dass Lieferengpässe bei notwendigen Medikamenten „leider an der Tagesordnung sind, und zwar mit zunehmender Tendenz.“

Aktuell sei zum Beispiel eines der wichtigsten Antidepressiva nicht verfügbar. „Selbst für Laien dürfte nachvollziehbar sein, dass diese Medikamente weder pausiert oder abgesetzt, noch kurzfristig auf andere Substanzen umgestellt werden können, ohne der Gesundheit zu schaden.“ Der Zustand sei „unwürdig“ und „beschämend für unser Gesundheitswesen.“

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