Bald Ketamin-Nasenspray für Depressive? Deniz Cicek-Görkem, 18.04.2018 12:01 Uhr
Wissenschaftler schenken Ketamin derzeit viel Beachtung, da die Substanz möglicherweise als Antidepressivum eingesetzt werden könnte. Forscher konnten kürzlich für das Mittel eine antidepressive Wirkung bestätigen und nun auch eine rasche und signifikante Verbesserung der depressiven Symptome bei therapierefraktären Patienten zeigen. Die im „American Journal of Psychiatry“ veröffentlichten Ergebnisse sind vielversprechend.
Ketamin ist aus der Anästhesie und Notfallmedizin bekannt, der Wirkstoff wird als Narkose- und Schmerzmittel eingesetzt. Zudem wird es in der Behandlung des therapieresistenten Status asthmaticus verwendet. Forscher untersuchen seit einigen Jahren die Wirksamkeit der Substanz bei depressiven Störungen als schnellwirksame Alternative zu den gängigen Antidepressiva. Johnson & Johnson analysiert derzeit in Phase-III-Studien (Sustain-1 und Sustain-3) die Sicherheit der Anwendung sowie ein mögliches Abhängigkeits- und Missbrauchspotenzial des potenziellen Arzneimittels in Kombination mit einem oralen Antidepressivum. Sustain-1 soll Ende August abgeschlossen werden. Mit den Ergebnissen der Langzeitstudie Sustain-3 wird frühestens im September 2021 gerechnet.
Aus den aktuellen Ergebnissen einer randomisierten, doppelblinden und placebo-kontrollierten Phase-II-Studie kann entnommen werden, dass die nasale Applikation von Esketamin, dem S-Enantiomer von Ketamin, die Symptome einer schweren Depression, einschließlich Suizidalität, mit einem schnellen Wirkungseintritt signifikant verbesserte.
In der Studie erhielten 68 Teilnehmer randomisiert zusätzlich zu einer umfassenden Standardbehandlung vier Wochen lang zweimal wöchentlich Esketamin 84 mg oder Placebo. Die Forscher untersuchten, ob die Symptome einer schweren Depression vier Stunden nach der ersten Behandlung, nach 24 Stunden und nach 25 Tagen verbessert wurden. Zur Analyse wurde die Montgomery-Åsberg-Depressions-Bewertungsskala (MADRS) herangezogen.
Die Wissenschaftler haben eine signifikant größere Verbesserung des MADRS-Wertes in der Esketamin-Gruppe im Vergleich zur Placebo-Gruppe nach vier Stunden und bei 24 Stunden beobachtet, aber nicht am Tag 25. Zu den häufigsten Nebenwirkungen bei den Teilnehmern der Esketamin-Gruppe gehörten Übelkeit, Schwindel, Dissoziation, unangenehmer Geschmack und Kopfschmerzen. „Diese vorläufigen Ergebnisse deuten darauf hin, dass intranasales Esketamin im Vergleich zu Placebo, zusätzlich zu einer umfassenden Standardbehandlung, bei depressiven Patienten mit unmittelbarem Suizidrisiko zu einer signifikantschnellen Verbesserung der depressiven Symptome, einschließlich einiger Maßnahmen für Suizidgedanken, führen kann“, schreiben die Studienautoren.
Bislang ist bekannt, dass die Substanz unter anderem eine antagonistische Wirkung am Glutamat-abhängigen NMDA-Rezeptor hat. Die vielfältigen Wirkmechanismen sind noch nicht vollständig geklärt. Für die schnelle antidepressive Wirkung wird der Metabolit Hydroxynorketamin (HNK) verantwortlich gemacht. HNK produzierte in präklinischen Untersuchungen keine Rauschzustände und verursachte keine Sucht. Im Gegensatz zur anästhetischen Wirkung, bei der der NMDA-Rezeptor beteiligt ist, spielt bei der antidepressiven Wirkung der AMPA-Rezeptor eine Rolle. Somit bleiben die typischen Ketamin-Nebenwirkungen aus.
Esketamin bekam vor einigen Jahren von der US-Gesundheitsbehörde FDA den Status „Break Through Therapy“ zuerkannt. Dieser Status ermöglicht es, den Zulassungsprozess des Medikaments zu beschleunigen, so dass es schneller eine Marktzulassung bekommen kann. Einige Ärzte nutzen die positive Datenlage für eine Off-Label-Anwendung ihrer Patienten, beispielsweise an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Universitätsklinikums München.