Bakterien: Resistenz durch Raubmord Deniz Cicek-Görkem, 08.01.2018 14:28 Uhr
Wenn der Kollege zur Konkurrenz wird, wird er einfach umgebracht. So reagieren einer aktuellen Studie zufolge zumindest einige Bakterien, die so die Resistenz des anderen Bakteriums aufnehmen und selbst resistent werden können.
Weltweit erforschen Wissenschaftler neuen Möglichkeiten, um Resistenzen zu umgehen. Dazu müssen sie zunächst die vielfältigen, oft auch unbekannten Ursachen und Trigger identifizieren. Eine im Fachjournal „Cell Reports“ publizierte Studie stellt nun einen weiteren Mechanismus vor: Bakterien holen sich Resistenzen auch von ihren Konkurrenten, indem sie diese mit einem nanomolekularen Giftcoctail zerplatzen lassen.
Forscher der Universität Basel haben herausgefunden, dass die Bakterien die eingesetzten Giftproteine, sogenannte Effektoren, mithilfe eines Typ-VI-Sekretionssystems (T6SS) injizieren. T6SS ist ein weit verbreitetes Exportsystem, das sowohl in Boden- und Meeresbakterien als auch in dem pathogenen Keim Pseudomonas aeruginosa oder in Vibrio cholerae vorkommt. Das System spielt bei der Feindabwehr, der Symbiose sowie den Wechselwirkungen zwischen Bakterien eine bedeutende Rolle. Darüber hinaus bestimmt es die Virulenz von Krankheitserregern.
Nach der Injektion der Giftspritze löst sich in der Folge das angegriffene Bakterium auf und setzt seine DNA frei, die dann vom Angreifer aufgenommen wird. Befinden sich darauf nun Gene, die für eine bestimmte Resistenz verantwortlich sind, so wird der neue Besitzer ebenfalls resistent gegen das Antibiotikum. In Kliniken sind Krankheitserreger mit diesen Fähigkeiten ein großes Problem. Denn durch den Kontakt mit anderen resistenten Keimen können diese immer neue Resistenzen akkumulieren – die Erreger werden schließlich multiresistent. Das Antibiotikum ist in Folge dessen nicht mehr wirksam und der Erreger kann sich weitgehend ungestört vermehren.
Das Team um Professor Dr. Marek Masler hat in der Studie Acinetobacter baylyi als Modellorganismus genutzt. Die meisten Vertreter dieser Spezies sind bekannt für ihre Resistenz gegen Penicillin und Chloramphenicol. Die Wissenschaftler haben fünf Effektoren identifiziert, die je unterschiedliche Wirkmechanismen haben. „Einige dieser toxischen Proteine töten den Gegner sehr effektiv, zerstören die Zelle dabei jedoch nicht“, erklärt Basler. „Andere wiederum beschädigen die Zellhülle so stark, dass das angegriffene Bakterium zerplatzt und Erbsubstanz austritt.“
Doch nicht alle Giftproteine würden gleich gut wirken, da viele Bakterien Gegengifte, sogenannte Immunitätsproteine, entwickelt oder erworben haben. „Wir haben für die fünf Effektoren auch die dazugehörigen Immunitätsproteine identifiziert. Für die Angreifer ist es sinnvoll, nicht nur ein einziges Giftprotein zu produzieren, sondern einen Cocktail verschiedenster Toxine mit unterschiedlicher Wirkungsweise“, so Basler. „So erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass der Gegner erfolgreich ausgeschaltet werden kann und in einigen Fällen, durch die Auflösung der Zelle, auch dessen DNA verfügbar wird.“
Die Arbeitsgruppe um Basler erforscht außerdem die Funktion und Struktur des Typ VI-Sekretionssystems mithilfe von Mikroskopiertechniken in Kombination mit biochemischen Methoden und Computeranalysen. Ziel sei es herauszufinden, wie einzelne Bestandteile des T6SS miteinander interagieren, welche Signalwege die T6SS-Dynamik regulieren und wie genau der Einspritzmechanismus funktioniert. Die detaillierte Aufklärung einzelner erregerspezifischer T6SS-Bestandteile könnte neue Optionen für antibakterielle Therapien bieten.