Das Autismus-Spektrum umfasst verschiedene Erkrankungen und Verhaltensauffälligkeiten. Die genauen Ursachen und Zusammenhänge sind bis heute nicht abschließend geklärt. Daher nehmen Autismus-Spektrum-Störungen (ASS) einen wichtigen Platz in der Forschung ein, um Betroffenen den Alltag erleichtern zu können. Das Hector Institut für Translationale Hirnforschung (HITBR) hat nun neue molekulare Auffälligkeiten ermittelt und ein mögliches Medikament im Tierversuch erforscht.
Mittlerweile ist bekannt, dass den Verhaltensauffälligkeiten bei Autismus verschiedene genetische Veränderungen zugrunde liegen. Das Team des HITBR konnte nun eine weitere Auffälligkeit identifizieren: Offenbar spielt der Transkriptionsfaktor MYT1L eine Schlüsselrolle. Er ist normalerweise für den Schutz der molekularen Identität von Nervenzellen verantwortlich. Wird er genetisch ausgeschaltet, zeigen sich die Autismus-typischen Symptome.
Die Forscher:innen konnten feststellen, dass ein Wirkstoff, der die Natriumkanäle der Zellmembranen blockiert, die Ausschaltung des Transkriptionsfaktors aufheben kann. Dadurch konnten im Mausmodell die typischen Verhaltensauffälligkeiten gelindert werden. Als Transkriptionsfaktor entscheidet MYT1L, welche Gene in der Zelle abgelesen werden und welche nicht. Das Protein wird über die gesamte Lebensdauer der Nervenzellen hinweg gebildet.
Das Team um Moritz Mall konnte in früheren Studien bereits zeigen, dass MYT1L die Identität von Nervenzellen schützt, indem andere Entwicklungsprogramme unterdrückt werden. Bei verschiedensten neurologischen Erkrankungen konnten Mutationen in MYT1L nachgewiesen werden – unter anderem bei Schizophrenie und Epilepsie.
In der aktuellen Untersuchung fokussierte sich das Team darauf, MYT1L genetisch auszuschalten und die Folgen zu beobachten. Dies wurde sowohl im Tierversuch wie auch in menschlichen umprogrammierten Zellen erforscht. Es zeigte sich eine elektrophysiologische Hyperaktivierung, wodurch es zu Störungen der Nervenfunktion kam. „Mäuse, denen MYT1L fehlte, wiesen Hirnanomalien auf, etwa eine dünnere Großhirnrinde. Die Tiere zeigten außerdem gleich mehrere ASS-typische Verhaltensänderungen wie soziale Defizite oder Hyperaktivität“, erklärt das Team.
Die betroffenen Nervenzellen zeigten eine übermäßige Produktion eines bestimmten Natriumkanals, der normalerweise von Herzmuskelzellen gebildet wird. „Diese porenförmigen Proteine gewähren Natriumionen Durchlass durch die Zellmembran und sind damit für die elektrische Leitfähigkeit und damit auch für das Funktionieren der Zellen entscheidend. Produziert eine Nervenzelle zu viele dieser Kanalproteine, kann eine elektrophysiologische Hyperaktivierung die Folge sein.“
Natriumkanalblocker sind in der Pharmazie kein neuer Ansatz – möglicherweise jedoch bei der Therapie von Autismus-Spektrum-Störungen. So kommt beispielsweise die Substanz Lamotrigin bei Epilepsie bereits erfolgreich zum Einsatz. In der Untersuchung konnte Lamotrigin die elektrophysiologische Aktivität wieder normalisieren. Bei den Tieren konnten die typischen Verhaltensmuster gelindert werden. „Offenbar kann eine medikamentöse Behandlung im Erwachsenenalter die Fehlfunktionen der Gehirnzellen lindern und damit den Autismus-typischen Verhaltensauffälligkeiten entgegenwirken – selbst, nachdem die Abwesenheit von MYT1L bereits während der Entwicklungsphase des Organismus die Hirnentwicklung beeinträchtigt hat“, erklärt Mall. Nun sollen klinische Studien folgen, um die Erkenntnisse zu untermauern.
Da es sich bei Autismus um ein Spektrum handelt, können verschiedenste Symptome in unterschiedlichem Ausmaß auftreten. Nicht jede/jeder Autist:in muss zwingend an den gleichen Störungen leiden. Einige Symptome und Verhaltensauffälligkeiten treten jedoch vermehrt auf, dazu gehören:
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