Aufzahlungen: Generika überholen Altoriginale Patrick Hollstein, 10.07.2015 10:15 Uhr
Mehrkosten bei Arzneimitteln: Dieses Phänomen gab es lange bei Originalen, die wie Sortis (Atorvastatin) von Pfizer in eine Festbetragsgruppe mit ähnlichen Wirkstoffen fielen. Auch Altoriginale, bei denen die Hersteller ihre Preise nicht auf das generische Niveau absenken, können für die Versicherten teuer werden. Seit dem Preisrutsch im vergangenen Jahr sind Aufzahlungen aber auch bei Generika verbreitet. Nach Packungen liegt diese Gruppe mittlerweile sogar vorn.
Die Festbetragsgruppen werden vom Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) festgelegt, die Preise, die die Kassen erstatten, bestimmt der GKV-Spitzenverband nach bestimmten Regeln. Ignorieren Hersteller die Preisgrenze, müssen die Versicherten die Differenz aus eigener Tasche zahlen, zusätzlich zur Zuzahlung.
Nach Zahlen von IMS Health fielen im vergangenen Jahr 517 Millionen Packungen im Wert von 12,4 Milliarden Euro in den festbetragsgeregelten Markt. Während diese Summe annähernd konstant blieb, wuchs die Zahl der Packungen mit Aufzahlung um 56 Prozent auf 32,6 Millionen Einheiten – das entspricht einem Anteil von 6 Prozent, nach 4 Prozent im Vorjahr.
Die Zahl der Generika mit Aufzahlung explodierte um 77 Prozent auf 15 Millionen Einheiten. Damit lag dieser Bereich erstmals vor den Altoriginalen, die um 55 Prozent auf 13,4 Millionen Stück zulegten. Bei den patentgeschützten Originalen rissen eine Million Packungen den Festbetrag (plus 15 Prozent). Weitere 3,3 Millionen Packungen (plus 11 Prozent) klassifiziert IMS als Restgruppe, das sind Impfstoffe, Diagnostika sowie Mineralien und Vitamine.
Insgesamt mussten die Patienten 115 Millionen Euro an Mehrkosten in Form von Aufzahlungen schultern, das waren 22 Prozent mehr als im Vorjahr. Mit 63 Millionen Euro entfällt der größte Teil nach wie vor auf Altoriginale (plus 14 Prozent), Generika liegen mit 20,7 Millionen Euro (plus 29 Prozent) knapp vor den patentgeschützten Präparaten mit 18,4 Millionen Euro. Hier war mit 67 Prozent der größte Zuwachs zu verzeichnen. Auf sonstige Präparate entfielen 11,5 Millionen Euro (plus 10 Prozent).
Rein rechnerisch fallen bei festbetragsgeregelten Medikamenten mit Patentschutz pro Packung knapp 19 Euro an Mehrkosten an (nach 13 Euro im Vorjahr). Bei Altoriginalen sind es knapp 5 Euro, bei Generika etwas mehr als ein Euro, bei der Restgruppe rund 3,50 Euro.
Legt man die Aufzahlungen auf die Verkaufspreise um, müssen die Patienten bei den Originalen damit fast ein Drittel selbst bezahlen (32 Prozent, nach 23 Prozent im Vorjahr), bei den Altoriginalen immerhin 23 Prozent. Deutlich geringer ist der Anteil mit 8,8 Prozent bei den Generika und 16,4 Prozent bei den sonstigen Präparaten.
Ein markantes Beispiel aus dem Bereich der patentgeschützten Präparate ist Olmesartan, das im vergangenen Jahr in die Festbetragsgruppe der Sartane aufgenommen wurde. Hier mussten die Versicherten teilweise mehr als 80 Euro aus eigener Tasche zahlen. Bei den Altoriginalen sind Atacand und Blopress (Candesartan) sowie Coaprovel und Karvezide (Irbesartan) prominente Beispiele.
Abgezogen werden müssen von den Aufzahlungen bei Generika im vergangenen Jahr noch 11,9 Millionen Euro, die die Krankenkassen den Versicherten wegen bestehender Rabattverträge erlassen haben. Laut IMS entfielen allerdings ohnehin 90 Prozent der Aufzahlungen auf Arzneimittel ohne Rabattvertrag.
Dass die Kassen sparten, während die Versicherten zur Kasse gebeten wurden, war die absolute Ausnahme: Die Festbetragsprodukte mit Rabattvertrag waren laut IMS annähernd komplett über den Mehrkostenverzicht von der Aufzahlung befreit. Bei Eprosartan gab es im vergangenen Jahr Probleme – am Ende wurden die Verträge gekündigt.
Auffällig war dagegen ein anderer Zusammenhang: Am häufigsten kamen Aufzahlungen in der Wirkstoffgruppe der Schilddrüsenpräparate vor; genaugenommen war diese Präparategrupppe für den Anstieg verantwortlich. Jede zweite Packung war betroffen; hier wirkte sich laut IMS die Tatsache aus, dass es den Patienten – wie vom Arzt erklärt – wichtig ist, ihr gewohntes Medikament zu erhalten, und sie daher bereit waren, in die eigene Tasche zu greifen. Sanofi und Merck hatten ihre Preise nicht angepasst. Seit Inkrafttreten der Aut-idem-Liste im Dezember ist der Wechsel noch schwieriger geworden.
Eigentlich gehört es für Generikahersteller zum Pflichtprogramm, den Marktpreis zu halten. Nur bei Festbetragsanpassungen kam es daher in der Vergangenheit gelegentlich vor, dass die Patienten vorübergehend in die eigene Tasche greifen mussten, etwa weil ein Hersteller neue Preise nicht rechtzeitig gemeldet hatte. Nach 14 Tagen folgte in vielen Fällen eine Anpassung der Preise. Aber die Generikahersteller gehen nicht mehr bei jeder Festbetragsrunde mit.
Die ersten Festbeträge traten am 1. September 1989 für zehn Wirkstoffe in Kraft. Alleine bis 2009 hatten die Kassen 36,4 Milliarden Euro nach Angaben des GKV-Spitzenverbandes durch Festbetragsgruppen eingespart. Während die Kassen die Preisspirale feiern, klagen die Hersteller über den Schraubstock aus verschiedenen Maßnahmen.
Nicht nur in den Apotheken sorgen die Diskussion mit den Versicherten – aus Sicht der Kassen originäre Aufgabe der Pharmazeuten – für Ärger. Kritik gibt es mittlerweile auch von Verbraucherschützern, die zwar die Festbeträge als Steuerungsinstrument nicht in Frage stellen. „Was aber gar nicht geht, sind Fälle, bei denen Patienten Aufzahlungen leisten müssen“, sagt Kai Vogel, Gesundheitsexperte beim Verbraucherzentrale Bundesverband (VZBV).