Kurzsichtigkeit ist ein zunehmendes Problem bei Kindern. Auf dem Kongress der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft wurde eine Off-label-Therapie mit niedrig dosierten Atropin-Augentropfen vorgestellt – sie soll wirksam und gut verträglich sein.
Die Substanz Atropin wird aus der Tollkirsche gewonnen. Schon seit langer Zeit ist bekannt, dass sie Kurzsichtigkeit aufhalten kann. Wegen ihrer Nebenwirkungen kam die Substanz jedoch häufig für eine Therapie nicht in Frage: Blendung und Nahsichtstörung sind die bekanntesten unerwünschten Effekte. Forscher aus Singapur haben nun eine Konzentration gefunden, die das Fortschreiten der Kurzsichtigkeit um bis zu 50 Prozent mindert, gleichzeitig jedoch weitgehend nebenwirkungsfrei ist. „Leichte Blendungsempfindlichkeit und Nahsichtstörung bilden sich bei Absetzen vollständig zurück, sodass kein Schaden entsteht“, erklärte Professor Dr. Wolf Lagrèze von der Klinik für Augenheilkunde am Universitätsklinikum Freiburg.
Dass niedrigdosierte Atropin-Tropfen mit einer Konzentration von 0,01 Prozent gut wirksam und verträglich sind, belegen inzwischen große und aussagekräftige Studien aus Asien. Dies hat Auswirkungen auf die Therapie: „Seit der Veröffentlichung dieser Daten hat sich die Anwendung niedrigdosierter Atropin-Augentropfen weltweit sehr schnell durchgesetzt und wird auch in Deutschland seit wenigen Jahren von vielen Augenärzten in Kliniken und Praxen eingesetzt“, betonte Lagrèze. Verschiedene Länder – darunter auch Deutschland – haben dahingehend Leitlinien und Behandlungsempfehlungen formuliert. Dennoch handelt es sich bei dieser Behandlung um einen Off-Label-Use: Eltern müssen also darauf hingewiesen werden, dass es sich um einen Gebrauch handelt, für den es bei Kurzsichtigkeit noch keine offizielle Zulassung gibt.
Die Therapie mit den Atropin-Augentropfen ist für Kinder im Alter von sechs bis 14 Jahren geeignet, bei denen die Kurzsichtigkeit pro Jahr um mindestens eine halbe Dioptrie zunimmt. Für die Behandlung wird jeweils ein Tropfen der Zubereitung abends vor dem Zubettgehen in jedes Auge appliziert. Durch unwillkürliches Blinzeln kommt es zu einer guten Verteilung des Wirkstoffs. „Wichtig ist eine Tropfen-Zubereitung ohne Konservierungsmittel“, betonte Lagrèze. „Nach zwei Jahren Therapiedauer entscheidet der Augenarzt, ob die Behandlung fortgesetzt werden sollte.“ Aktuell ist in Deutschland eine Behandlungsstudie in Vorbereitung, um zu überprüfen, ob das Atropin-Konzept auch in einer nicht-asiatischen Population eine vergleichbare Wirkung entfaltet.
Die Kurzsichtigkeit beginnt meist schon im Grundschulalter. Bis zum Ende der Grundschulzeit entwickeln in Deutschland etwa 15 Prozent der Kinder eine Kurzsichtigkeit, bis zum Alter von 25 Jahren steigt die Rate auf etwa 45 Prozent. „Kurzsichtigkeit ist neben dem Alter der Hauptrisikofaktor für ernste Augenerkrankungen wie Grüner und Grauer Star oder auch Netzhautablösung, von daher ist es sehr wünschenswert, das Voranschreiten der Kurzsichtigkeit in der Phase ihres Entstehens zu verlangsamen“, erklärte Professor Dr. Claus Cursiefen, Präsident der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft (DOG). Zudem gelte: Je früher die Kurzsichtigkeit beginne, desto stärker werde ihr Ausmaß im Erwachsenenalter.
Neben der medikamentösen Therapie gibt es einige Ansätze, die helfen sollen. „Täglich zwei Stunden Aufenthalt im Freien bei Tageslicht halbieren das Risiko für Kurzsichtigkeit“, erläuterte Lagrèze. Längeres Lesen in einem Abstand von weniger als 30 Zentimetern sollte hingegen vermieden werden. Desweiteren gäbe es spezielle Kontaktlinsen, die das Fortschreiten der Kurzsichtigkeit um bis zu 40 Prozent mindern könnten. Am wirksamsten habe sich jedoch eine Therapie mit Atropin-Augentropfen erwiesen. In wieweit täglich zwei Stunden Aufenthalt im Freien die Erfolgsrate zusätzlich zu den Atropin-Augentropfen weiter erhöhen, ist noch nicht erforscht.
Bei Kurzsichtigkeit, in der Fachsprache Myopie genannt, werden entfernte Objekte unscharf wahrgenommen. Dies geschieht dadurch, dass entweder der Augapfel zu lang oder der Brechwert der Augenlinse zu hoch ist: Das Auge kann sich nicht richtig scharf stellen. Normalerweise ergeben die aus der Ferne kommenden Lichtstrahlen genau auf der Netzhaut ein scharfes Bild. Bei Kurzsichtigkeit hingegen bündeln sich die Lichtstrahlen schon vor davor und das Bild ist verschwommen. Ursache kann genetische Veranlagung sein. Für die Zunahme in vielen Ländern machen Experten aber vor allem Verhaltensänderungen verantwortlich, auch die Lebensbedingungen im Allgemeinen haben Einfluss: Das Lesen von Büchern und Zeitungen, sowie intensive Beschäftigung mit Smartphones, Tablets und Computern können die Entstehung begünstigen.
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