Werbung für Arzneimittel ist ein Spiel mit dem Feuer. Zumindest bei den Anwälten der Konkurrenz hat man als Hersteller Reichweite so gut wie sicher. Wer auf Nummer sicher gehen will, hält sich bei den Aussagen über sein Produkt an die Fachinformation. Denn das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) ist laut Bundesgerichtshof (BGH) über jeden Zweifel erhaben.
Vor zwei Jahren hatte der BGH für Verunsicherung bei den Herstellern gesorgt. Novo Nordisk hatte in Anzeigen gegenüber Fachkreisen darauf hingewiesen, dass sein Langzeitinsulin Levemir (Insulin detemir) weniger dick mache als Lantus (Insulin glargin) von Sanofi. Der französische Hersteller war gegen die Anzeige und die aus seiner Sicht irreführende Werbung vorgegangen: Der angebliche Gewichtsvorteil und dessen klinische Relevanz seien nicht hinreichend nachgewiesen; die in der Fußnote genannten Quellen seien jedenfalls als Beleg nicht geeignet.
Das Kammergericht Berlin hatte zuvor argumentiert, auf die Fußnote komme es nicht an, da die Aussagen bereits durch die Fachinformation gedeckt seien. Dem folgte der BGH: Bei Angaben, die der Zulassung wörtlich oder sinngemäß entsprächen, könne davon ausgegangen werden, dass sie dem gesicherten Stand der Wissenschaft zum Zeitpunkt der Zulassung entsprächen, so die Richter in Karlsruhe. Der Inhalt der Zulassung könne im Regelfall auch als hinreichender Beleg für Werbebehauptungen gelten, die über das Anwendungsgebiet hinausgehende Eigenschaften beschrieben.
Allerdings gelte der „Grundsatz der Maßgeblichkeit der Zulassung“ nicht uneingeschränkt, so die Richter. Eine Irreführung könne dann in Betracht kommen, wenn „neuere, erst nach dem Zulassungszeitpunkt bekannt gewordene oder der Zulassungsbehörde bei der Zulassungsentscheidung sonst nicht zugängliche wissenschaftliche Erkenntnisse vorliegen, die gegen die wissenschaftliche Tragfähigkeit der durch die Zulassung belegten Aussagen sprechen“.
Also alles relativ mit der Zulassung? Nein, erklärt der BGH in einem jetzt veröffentlichten Urteil aus dem Mai. Erschüttert werden könnten aus der Fachinformation übernommene Angaben eben explizit nur durch neue Erkenntnisse. Anders sehe die Sache aus, wenn sich nachträglich herausstelle, dass die der Entscheidung zugrunde liegenden Gutachten unzutreffend gewesen oder von der Behörde unzutreffend bewertet wurden.
Zwar habe ein Wettbewerber keine Möglichkeit, sich am Zulassungsverfahren zu beteiligen und aus seiner Sicht fehlerhafte Bescheide anzufechten, räumt der BGH ein. Doch dies sei auch unter dem Gesichtspunkt eines effektiven Rechtsschutzes auch nicht notwendig: „Insbesondere ist es nicht geboten, ihm zu ermöglichen, die Beurteilung der mit besonderer Fachkompetenz ausgestatteten Arzneimittelzulassungsbehörde ohne neue oder dieser bei ihrer Entscheidung unbekannte wissenschaftliche Erkenntnisse in einem wettbewerbsrechtlichen Verfahren anzugreifen und damit das Zivilgericht zu zwingen, seine Beurteilung – mit oder ohne sachverständige Unterstützung – an die Stelle derjenigen der Fachbehörde zu setzen, die der Gesetzgeber dafür eingesetzt hat“, heißt es im Urteil.
Hersteller müssen laut BGH darauf vertrauen können, dass Werbeaussagen, die der von der Zulassungsbehörde geprüften Fachinformation entnommen seien, rechtlich nicht zu beanstanden seien. „Die Wettbewerber haben es daher hinzunehmen, dass sie Einwände gegen die Fachinformation in einem wettbewerbsrechtlichen Verfahren nur aufgrund neuer oder der Zulassungsbehörde unbekannt gebliebener wissenschaftlicher Erkenntnisse erheben können.“
Sollte sich dennoch herausstellen, dass die Zulassung nicht rechtmäßig erteilt wurde, sei alleine die Behörde verantwortlich: „Etwaige Fehler bei der Beurteilung der Fachinformation im Zulassungsverfahren gefährden in erster Linie die Interessen der Allgemeinheit und der Arzneimittelnutzer an der Arzneimittelsicherheit, die die zuständige Behörde bei der Entscheidung über Auflagen oder die Rücknahme der Zulassung zu schützen hat.“
Im konkreten Fall hatte Allergan gegen Merz geklagt. Die in der Fachinformation von Xeomin enthaltenen Angaben über die Äquipotenz zu Botox seien irreführend, da sie angesichts methodischer Mängel der entsprechenden Studien wissenschaftlich nicht ausreichend abgesichert seien. Das Landgericht Hamburg hatte im März 2012 zugunsten von Allergan entschieden, Merz hatte dann vor dem Oberlandesgericht recht bekommen. Anders als die Vorinstanz entschied der BGH allerdings, dass auch die Inhalte der Fachinformation selbst einer wettbewerbsrechtlichen Prüfung nicht entzogen seien.
Damit sind – von Vergleichbarkeitsstudien abgesehen – nur wenige Konstellationen denkbar, in denen Wettbewerber eine Zulassung zu Fall bringen. Denn in Studien zu Wirkstoffen anderer Hersteller wird wohl kaum ein Unternehmen investieren. Bislang ist beim BfArM kein Fall bekannt, in denen eine Auseinandersetzung unter Konkurrenten die Zulassung gekostet hätte. In den meisten Fällen wird sich mit neuen Erkenntnissen zu Arzneimitteln auch in Zukunft die Pharmakovigilanz-Abteilung beschäftigen.
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