Xtandi, Dracofoam, Corneregel – Arzneimittelnamen scheinen mitunter beim Feierabendbier erdacht worden zu sein. In Wirklichkeit ist es bis zur bekannten Marke ein langwieriger und schwieriger Prozess, der für den Hersteller zu den kniffligsten Fragen bei der Produktentwicklung gehört. Den Daumen hebt oder senkt am Ende die Behörde.
Wer früher ein neues Arzneimittel auf den Markt bringen wollte, hatte es noch vergleichsweise leicht. Beliebt waren Bezeichnungen, die dem Patienten bereits auf den ersten Blick vermitteln konnten, wofür das Produkt eigentlich gedacht ist. Dass Grippostad bei grippalen Infekten eingesetzt werden soll, war auch für den Kunden in der Apotheke schnell ersichtlich.
Mit der zunehmenden Anzahl von Arzneimitteln wurden die Freiheiten für die Hersteller eingeschränkt. Man fürchtete, dass die Verwechslungsgefahr bei ähnlich klingenden Arzneimitteln steigen könnte. Verharmlosende Bezeichnungen könnten außerdem zum unsachgemäßen Gebrauch anstiften, so die Sorge. Die Folge waren Leitlinien für die Bezeichnung neuer Arzneimittel. Der Name muss, ebenso wie das Medikament mit seiner Wirkung und Sicherheit selbst, von der Behörde genehmigt werden. Der Hersteller hat lediglich ein Vorschlagsrecht.
Wer sein Präparat in Deutschland zulässt, soll nach der gemeinsamen Richtlinie des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) und des Paul-Ehrlich-Instituts (PEI) zumindest innerhalb eines gewissen Rahmens über die Marke entscheiden können. Einige Grundsätze müssen dabei beachtet werden: So muss beispielsweise eine Verwechslungsgefahr mit einem anderen Wirkstoff oder Arzneimittel ausgeschlossen sein. Verwendet man Teile aus Wirkstoffnamen, Darreichungsform oder Herstellernamen, darf die Firma nicht an erster Stelle stehen – wie beispielsweise bei den Produkten von Infectopharm. Einzelne Buchstaben sind ebenso wenig erwünscht wie Zahlen, sofern diese nicht eindeutig mit dem Arzneimittel in Zusammenhang stehen.
Die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) geht für Medikamente im zentralen Zulassungsverfahren sogar noch einen Schritt weiter. Der Name des Arzneimittels darf nicht mit der Wirkstoffbezeichnung in Zusammenhang gebracht werden dürfen, legt die aktuelle Leitlinie fest. Auch nach der EU-Vorgabe ist eine Namensähnlichkeit zu bereits vorhandenen Medikamenten verboten. Die EMA schließt dabei nicht nur aktuelle Arzneimittel ein, sondern sämtliche Bezeichnungen von Medikamenten und Wirkstoffen, die jemals in Verkehr gebracht wurden. Was „Ähnlichkeit“ genau bedeutet, darüber streiten sich Unternehmen und Behörde regelmäßig. Mehr als jeder zweite der eingereichten Namensvorschläge wird von der EMA zurückgewiesen.
Für Impfungen gibt es besondere Regeln. Für die saisonal wiederkehrenden Grippeimpfungen beispielsweise muss nicht in jedem Jahr ein neuer Name entwickelt werden, obwohl sich die Zusammensetzung der verwendeten Serotypen ändert. In solchen Fällen akzeptiert die Behörde, wenn zusätzlich zu dem Namen die Jahreszahl hinzugefügt wird. Für saisonunabhängige Impfungen, die mehrere Serotypen beinhalten, wird nach dem Namen die Anzahl der verwendeten Serotypen addiert. Der neunvalente HPV-Impfstoff Gardasil 9 ist ein solches Beispiel.
Ob verschiedene Wirkstoffe unter der gleichen Dachmarke verwendet werden dürfen, ist immer wieder Streitpunkt vor Gericht. Das BfArM hatte mehrfach die Zulassung eines neuen Wirkstoffes unter einer Dachmarke verweigert, war aber vor Gericht unterlegen. Sofern die Wirkstoffe innerhalb der gleichen Indikation verabreicht werden, sehen die Richter dies weniger streng als die Behörde. So hatte beispielsweise Bayer die Eingliederung von Aleve in die Dachmarke Aktren vor Gericht erstritten. Jetzt folgte ein ähnliches Urteil zu Gunsten von Dolormin (Johnson & Johnson).
Auch für Generika gibt es ganz klare Regeln, wie der Arzneimittelname gebildet werden muss. Wird kein reiner Phantasiename gewählt, gilt die grundsätzliche Regel: Wirkstoffname plus Herstellername. Nicht eindeutig festgelegt ist dabei, ob es zwischen Wirkstoff und Unternehmen einen Bindestrich geben darf. Dafür ist klar geregelt, dass als Wirkstoff lediglich die aktive Substanz angegeben werden soll. Wenn der Wirkstoff als Ester oder Salz vorliegt, wird diese Information nicht in die eigentliche Bezeichnung aufgenommen. Das kann mitunter zu Verwirrungen führen: Metoprolol 100 von der Amneal-Tochter Bioeq etwa enthält in Wirklichkeit 95 mg Metoprololsuccinat.
Die Namensgebung von Wirkstoffen unterliegt nicht der Genehmigung durch die Zulassungsbehörden, sondern wird vorab gemeinsam mit dem zuständigen Gremium der Weltgesundheitsorganisation (WHO) durchgeführt. Auch hier gilt das Verbot der zu großen Ähnlichkeit mit bereits existierenden Wirkstoffen. Allerdings muss der Hersteller die bestehenden Strukturen beachten. Gibt es bereits Substanzen in der gleichen Wirkstoffklasse, muss die Endung übernommen werden. Auf diese Weise entstehen die „Sartane“, „Gliptine“ oder “Prazole“. Wer einen monoklonalen Antikörper entwickelt, muss dem Wirkstoffnamen ein -mab anhängen.
Für menschliche Antikörper wird zusätzlich ein -u (für human) eingeschoben. Für Hybride von Antikörpern und Proteinen ist die Endung -cept reserviert. Dies ist zum Beispiel der Fall bei Abatacept zur Behandlung der rheumatoiden Arthritis. Die bei der WHO eingereichten Vorschläge werden öffentlich diskutiert. Nach vier Monaten trifft die Expertengruppe die endgültige Entscheidung.
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