Die meisten Arzneimittel, die auf dem Markt sind, sind für Erwachsene zugelassen. Für Kinder stehen nicht immer geeignete Medikamente zur Verfügung. Das führt unter anderem dazu, dass Ärzte im Off-label-Use verordnen müssen. Für neue Zulassungen sind Studien erforderlich, doch die sind mit Kindern nur eingeschränkt möglich. Die Aussage, dass Kinder keine kleinen Erwachsenen sind, gilt insbesondere in der pädiatrischen klinischen Pharmakologie.
Wenn Kinder die Erwachsenen-Dosis eines Arzneimittels verabreicht bekommen, kann dies zu subtherapeutischen oder auch toxischen Wirkstoffkonzentrationen kommen. Kinder haben besondere physiologische, pharmakodynamische und -kinetische Eigenschaften, beispielsweise einen reduzierten First-Pass-Effekt, variable mikrobielle Kolonisation und eine hohe Konzentration an β-Glucuronidase.
Auch die Blut-Hirn-Schranke bei Säuglingen und Kindern ist nicht so ausgeprägt wie bei Erwachsenen. Der Stoffwechsel und die Organsysteme, die an der Arzneimittelwirkung beteiligt sind, verändern sich mit dem Alter. Dies beeinflusst die Dosis und das Dosierungsintervall, die benötigt werden, um therapeutische Konzentrationen aufrechtzuerhalten. Das muss insbesondere bei Neugeborenen und Kindern berücksichtigt werden.
Die Organe von Kindern sind noch in der Entwicklungsphase und im Verhältnis zum Körpergewicht sind sie größer als die von Erwachsenen. Auch das Immunsystem ist bei den Kleinen noch nicht ganz funktionsfähig. Der Organismus reagiert deshalb besonders empfindlich auf Umwelttoxine, Krankheitserreger und Arzneimittel. Außerdem unterscheiden sich bei Kindern und Erwachsenen Eliminationshalbwertzeiten und Clearance. Die Einnahme ungeeigneter Medikamente kann problematische Langzeitfolgen für das Immunsystem, das Skelett oder die sich entwickelnden geistigen Fähigkeiten haben. Aufgrund dessen müssen Kinderarzneimittel den pädiatrischen Anforderungen genügen. Da der Körper von Kindern Besonderheiten aufweist, ist die Prüfung der Sicherheit und Wirksamkeit im Rahmen von klinischen Studien Voraussetzung für die Zulassung für pädiatrische Indikationen.
Die Studienteilnahme von Kindern ist unter strengen Auflagen möglich. So dürfen an gesunden Minderjährigen keine Arzneimittel getestet werden, allerdings dürfen sie in Studien eingebunden werden, um Medikamente zur Diagnostik und Prävention zu testen. Kranke Kinder dagegen können auch an Erhebungen zur Untersuchung therapeutischer Arzneimittel mitwirken. Bedingung für ihre Teilnahme ist, dass die zu gewinnenden Erkenntnisse potenziell zur Behandlung ihres Leidens beitragen oder einen Nutzen für Kinder mit der gleichen Erkrankung erbringen.
Mithilfe des Computers können Wissenschaftler klinische Studien in pädiatrischen Patientenpopulationen „virtuell” durchführen, bevor sie die Substanz tatsächlich Kindern verabreichen. Diese Methode wird „in-silico“ genannt. Die Ergebnisse dieser virtuellen Studien können dann zur Optimierung des Studiendesigns für die reale Patientenpopulation herangezogen werden. Die In-silico-Vorhersage des pharmakokinetischen Verhaltens bei pädiatrischen Patienten soll keine klinischen Studien ersetzen, kann aber hilfreich sein. Oftmals nähern sich die Werte einer In-vivo-Analyse. Es bietet jedoch eine nützliche Entscheidungshilfe bei der ersten Dosierung bei Kindern und beim Studiendesign.
Darüber hinaus spielt auch die Darreichungsform eine Rolle. Denn für kleine Kinder sind beispielsweise Tabletten ungeeignet und Jugendliche lehnen Zäpfchen meist ab. Auch der Geschmack der zu testenden Arzneistoffe stellt eine Herausforderung dar; bittere Substanzen schränken die Compliance sehr ein. Dann muss technologisch mit Maskierungsmethoden nachgeholfen werden. Doch Studien mit Kindern sind in der Durchführung schwerer als solche mit Erwachsenen. Zum einen sind die Patientengruppen sehr klein, zum anderen sind nur sehr wenige Eltern bereit, eine Verzögerung der Behandlung durch Eingruppierung in die Placebo-Gruppe zu riskieren. Folglich kommt es beispielsweise zu einem Wechsel aus der Kontroll- in die Verumgruppe. Damit sind Verzerrungen bei den Ergebnissen vorprogrammiert.
Derzeit ist mehr als die Hälfte der eingesetzten Arzneimittel bei Kindern ist nicht für diese Altersgruppe zugelassen. Deshalb trat 2007 die europäische Kinderarzneimittelverordnung in Kraft. Sie schreibt vor, dass der Hersteller bei Antrag auf Zulassung eines neuen Arzneimittels, das noch nicht in einem der EU-Mitgliedstaaten zugelassen ist, ein pädiatrisches Prüfkonzept durch die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) genehmigen lassen muss.
Medikamente, die bereits eine Zulassung für Erwachsene haben, können im Rahmen eines sogenannten PUMA-Verfahrens (Paediatric use marketing authorisation) um eine zusätzliche Indikation bei Kindern erweitert werden. Diese Genehmigung kann für alle pädiatrischen Indikationen in allen oder bestimmten Altersgruppen und für die Entwicklung kindgerechter Darreichungsformen erteilt werden. Die Entwicklung für die Anwendung bei Kindern muss dem durch den Pädiatrieausschuss gebilligten pädiatrischen Prüfkonzept folgen. Bislang gibt es nur drei PUMA-Arzneimittel auf dem Markt: Buccolam (Midazolam, 2011), Hemangiol (Propranolol, 2014) und Sialanar (Glycopyrroniumbromid, 2016).
Der finanzielle Mehraufwand für die notwendigen Studien wird für die Pharmaunternehmen mit einer Verlängerung der Marktexklusivität durch ein Ergänzendes Schutzzertifikat (SPC) um sechs Monate belohnt. Aktuelle Zahlen von Insight Health zeigen, dass bisher für 61 Substanzen eine Verlängerung des Ergänzenden Schutzzertifikats beantragt wurde. Es gab Genehmigungen für 32 Substanzen, drei Anträge wurden abgelehnt und 26 Anträge werden noch bearbeitet. Die häufigste Arzneimittelgruppe in der Liste sei demnach die der systemischen Antiinfektiva, an zweiter Stelle stünden Antineoplastika und Immunmodulatoren. Die drittstärkste Arzneimittelgruppe betreffe das kardiovaskuläre System. Ein Großteil der verordneten Arzneimittel in den Untergruppen des Marktes hat keine Zulassung für den pädiatrischen Einsatz, bestätigt auch Insight Health. Lediglich die Gruppe der Anti-TNF-Präparate weise einen hohen Anteil von zugelassenen Kinderarzneimitteln auf.
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