So funktionieren klinische Studien Dr. Kerstin Neumann, 18.01.2016 12:33 Uhr
Der Zwischenfall bei einem Medikamententest in Rennes sorgt für Verunsicherung. Viele Verbraucher fragen sich, wie gefährlich klinische Studien sind – und welche Risiken nach der Zulassung noch bleiben. Der Weg vom Wirkstoffkandidaten bis zum verkehrsfähigen Medikament ist lang.
Jeder Wirkstoff muss mehrere Testphasen durchlaufen, bevor er von den Zulassungsbehörden für die breite Anwendung am Menschen freigegeben wird. Die Tests folgen einem strengen Schema: In der sogenannten präklinischen Phase werden die Wirkstoffe zunächst in Zellkulturen im Labor und anschließend in Tierversuchen geprüft. Erst dann wird das Arzneimittel Menschen verabreicht, um die passende Dosierung und Darreichungsform zu finden.
Mindestens zwei verschiedene Tierarten müssen eingesetzt werden, bevor Tests an Menschen durchgeführt werden dürfen. Dadurch kann man eine Einschätzung treffen, ob auch außerhalb des Reagenzglases die gewünschte Wirkung auftritt und ob das Medikament sicher genug ist. Diese Untersuchungen dauern durchschnittlich etwa fünf Jahre; meist werden Mäuse oder Ratten eingesetzt.
Die ersten Menschen, die ein Medikament erhalten, sind gesunde, männliche Probanden. Der Wirkstoff wird nur an wenigen freiwilligen Studienteilnehmern getestet. In der ersten Phase der klinischen Studien geht es vor allem darum zu prüfen, ob das Medikament auch im menschlichen Körper seine Wirkung entfaltet, ob es gut vertragen und problemlos wieder ausgeschieden wird. Außerdem kann in der Phase I geprüft werden, welche Darreichungsform die geeignetste ist. In der Regel wird nicht nur eine einzelne Studie durchgeführt: Bis zu 30 Tests können in dieser Phase stattfinden. Insgesamt erhalten bis zu 80 Probanden den neuen Wirkstoff.
In der Phase II der klinischen Studien wird das Medikament erstmals an kranken Studienteilnehmern getestet. Auf Grundlage der bereits in Phase I gewonnenen Daten wird die Darreichungsform festgelegt, die für die endgültige Dosisfindung verwendet wird. Phase II ist besonders wichtig für die Abwägung von Nutzen und Risiko: Treten Nebenwirkungen bei den Patienten auf? Wenn ja, kann man diese in Kauf nehmen, weil die positive Wirkung des Arzneimittels überwiegt?
Das neue Arzneimittel wir dabei mit Placebo verglichen. Aus ethischen Gründen kann ein Vergleich mit einem wirkstofffreien Medikament allerdings manchmal nicht durchgeführt werden, beispielsweise in der Krebstherapie: Einem schwerkranken Patienten darf man eine Behandlung mit einem wirksamen Medikament nicht vorenthalten. Daher wird in solchen Fällen der neue Wirkstoff immer mit der bereits etablierten Behandlung verglichen.
Je mehr Patienten an klinischen Studien teilnehmen, desto verlässlicher sind die gesammelten Ergebnisse. Wenn in der Phase II die Sicherheit des Medikamentes ausreichend untersucht wurde, muss das neue Präparat daher noch in der Breite getestet werden. Das geschieht in der dritten Phase: Mehrere tausend Patienten aus verschiedenen Ländern nehmen an den Phase-III-Studien teil. Hier geht es darum zu bestätigen, dass Wirksamkeit und Unbedenklichkeit bei unterschiedlichen Patienten gleich sind. Außerdem liegt ein Augenmerk auf Wechselwirkungen mit anderen Arzneimitteln. Mit Abschluss dieser Studien kann schließlich ein Antrag gestellt werden, das Medikament auf den Markt zu bringen. Seit Beginn des Studienprogrammes sind dann zwischen zehn und 15 Jahren vergangen.
Das Studienprogramm hört nicht mit der Marktzulassung auf. Häufig fordern die Zulassungsbehörden noch Langzeit-Daten, also Erkenntnisse, die über mehrere Jahre gesammelt werden. Diese werden in den Studien der Phase IV gesammelt und in regelmäßigen Abständen den Zulassungsbehörden vorgelegt. Sollte sich zeigen, dass Medikamente durch eine langfristige Anwendung Nebenwirkungen hervorrufen, die man in den vorherigen Studien nicht erkennen konnte, ist es möglich, dass ein Produkt wieder vom Markt genommen wird.
Die gesamte Prüfung von Arzneimitteln ist durch Gesetze und Leitlinien genau festgelegt und wird streng kontrolliert. Bevor klinische Studien begonnen werden, muss eine Ethik-Kommission ihre Zustimmung geben. Die Sicherheit der Patienten soll dadurch an erster Stelle stehen. Für die Tierversuche müssen auch die Vorgaben des Tierschutzgesetzes beachtet werden. Weniger als 0,1 Prozent aller Wirkstoffe aus dem Labor schafft es bis zur Marktreife.
Wenn im Laufe der klinischen Prüfung klar wird, dass Sicherheitsrisiken bestehen, müssen die Studien ausnahmslos abgebrochen werden. Insbesondere in der präklinischen Phase passiert dies relativ häufig. Durch die vorgeschalteten Tierversuche sind Todesfälle wie in Rennes aber extrem selten.