Arzneimittelentwicklung: Die Stoppuhr läuft mit Deniz Cicek-Görkem, 10.09.2018 09:52 Uhr
Die Entwicklung neuer Arzneistoffe könnte künftig schneller in Fahrt kommen. Wissenschaftler der Julius-Maximilians-Universität Würzburg (JMU) haben eine Methode entwickelt, mit der sich die Rezeptoraktivierung in kürzester Zeit messen lässt. Die Studienergebnisse wurden im Fachjournal „Nature Communications Biology” veröffentlicht.
G-Protein-gekoppelte Rezeptoren (GPCR) gehören zu den membranständigen Rezeptoren. Ihre Aufgabe besteht darin, das von den Transmittern ausgehende Signal vom Zelläußeren in das Zellinnere zu übertragen. Dabei führt die Ligandenbindung zur Aktivierung Rezeptor-assoziierter G-Proteine, indem eine Konformationsänderung induziert wird. Die G-Proteine bestehen aus drei funktionellen Einheiten, die als Gα, Gβ und Gγ bezeichnet werden.
Die biologischen Wirkungen vieler Hormone und Neurotransmitter werden über GPCR vermittelt, außerdem sind sie wichtige pharmakologische Targets. Heute greifen rund die Hälfte aller verschreibungspflichtigen Medikamente an diesen Rezeptoren an, beispielsweise Antihistaminika, Triptane sowie Opioide. „Die Wirkstoffe binden an die Rezeptoren und können deren dreidimensionale Anordnung verändern und so nachgeschaltete Signalwege regulieren“, sagt Hannes Schihada vom Lehrstuhl für Pharmakologie an der JMU. Dem Wissenschaftler zufolge greifen bereits etwa 30 Prozent aller weltweit zugelassenen Arzneistoffe an GPCR an, dennoch werde ihr Potenzial noch nicht voll ausgeschöpft.
Die Entwicklung eines allgemeinen Hochdurchsatz-Tests zum Monitoring der Rezeptor-Aktivierung oder -Deaktivierung würde die Entdeckung neuer Arzneimittel vorantreiben. Bislang konnte die Wirkung von Millionen potenzieller Medikamente auf die GPCR-Anordnung innerhalb kürzester Zeit jedoch nicht analysiert werden. „Dadurch wurde die Entdeckung neuartiger Arzneistoffe und die Erforschung noch unbekannter GPCR ausgebremst“, sagt Dr. Isabella Maiellaro. Die Wissenschaftlerin hat zusammen mit Professor Dr. Martin Lohse die Studie betreut.
Das könnte sich nun ändern, denn das JMU-Team hat kürzlich so eine Methode entwickelt, mit der sowohl die Aktivität als auch die Wirkstärke von GPCR-Liganden in lebenden Zellen im Hochdurchsatzverfahren ermittelt werden kann. Die Forscher konnten mittels BRET (Bioluminescence-Resonance-Energy-Transfer-basiertes Sensordesign) die Ligandenbindungs- und Aktivierungsdynamik beobachten. So können Konformationsänderungen in lebenden Zellen nun im Hochdurchsatz-Verfahren erforscht werden: Wirkstoffkandidaten sollen deutlich schneller auf deren pharmakologische Wirkung am Rezeptor und unabhängig von nachgeschalteten Signalwegen charakterisiert werden.
Schihada zufolge kann die Methode nicht nur auf GPCR, sondern auf alle möglichen Biomoleküle angewendet werden und die Basis für die Entwicklung neuartiger Arzneistoffe mit verbesserter Wirksamkeit und weniger Nebenwirkungen schaffen. Weiterhin könnten die Sensoren auch zu einem besseren Verständnis der sogenannten Orphan GPCR beitragen. „Damit können wir den Grundstein für die Behandlung schwerwiegender und bisher schlecht-behandelbarer Erkrankungen wie Alzheimer oder Multipler Sklerose legen“, sagt der Forscher.
GPCR spielen eine bedeutende Rolle in der Forschung. Im vergangenen Jahr konnten andere JMU-Wissenschaftler erstmals Rezeptoren live beobachten. Sie haben zudem herausgefunden, dass sich diese Bindungsstellen mit den jeweiligen für die Signalübertragung wichtigen G-Proteinen an bestimmten Orten auf der Plasmamembran „treffen“, an sogenannten „Hot Spots”. Außerdem konnten die Forscher sehen, dass Rezeptoren und G-Proteine in der Regel nur vorübergehend miteinander in Kontakt stehen. Die Interaktion dauerte in den meisten Fällen nur eine Sekunde.