Artesunat: Behandlung schwerer Malaria Alexandra Negt, 02.06.2020 14:13 Uhr
Die US-Arzneimittelbehörde (FDA) hat Artesunat zur Injektion zur Behandlung schwerer Malaria bei erwachsenen und pädiatrischen Patienten zugelassen. Auf die intravenöse Behandlung sollte immer ein vollständiger Behandlungsverlauf eines geeigneten oralen Antimalaria-Regimes folgen.
Vor dieser Zulassung war Artesunat für Patienten in den USA nur über das Expanded Access-Programm der FDA verfügbar; mit diesem Programm konnten spezielle Zentren bei Notwendigkeit den Arzneistoff zur Verfügung stellen. Seit der letzte Hersteller die Vermarktung von Chinidin im vergangenen Frühling eingestellt hatte, gibt es in den USA kein zugelassenes Medikament zur Behandlung der schweren Malaria.
Artesunat gehört zur Gruppe der Antiprotozoika und wird zur Behandlung der durch Plasmodium falciparum verursachten Malaria eingesetzt. Der halbsynthetische Wirkstoff leitet sich vom natürlichen Stoff Artemisinin ab – zeigt im Vergleich eine signifikant verbesserte Bioverfügbarkeit. Artesunat wurde 2002 von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) in die Liste der unentbehrlichen Arzneimittel aufgenommen.
Artesunat wird normalerweise zusammen mit anderen Malariamitteln eingesetzt: In Kombination mit Amodiaquin, einem Wirkstoff, der ebenfalls zur Therapie der Malaria eingesetzt wird und chemisch dem Arzneistoff Chloroquin ähnelt, ist die Wirkung stärker. In Zusammenarbeit zwischen der „Drugs for neglected Diseases Initiative“ (DNDi) und Sanofi wurde ein Artesunat/Amodiaquin-Kombinationspräparat (ASAQ) entwickelt. Dieses wurde bereits in mehreren afrikanischen Ländern registriert und soll zukünftig unter dem Markennamen Coarsucam vertrieben werden. Andere Kombinationspräparate von Artesunat mit Mefloquin befinden sich derzeit in der Entwicklung.
„Mit dieser Zulassung erhalten Patienten nun mehr Zugang zu einem lebensrettenden Medikament“, sagte John Farley, Direktor des Amtes für Infektionskrankheiten im FDA-Zentrum. „Darüber hinaus unterstreicht das Risiko, an schwerer Malaria zu erkranken, die Bedeutung der Einnahme von Medikamenten zur Vorbeugung von Malaria und der Anwendung von Maßnahmen zur Vermeidung von Mücken bei Reisen in Malaria-Endemiegebiete.“
Laut den Centers for Disease Control and Prevention (CDC) werden in den USA jedes Jahr rund 2000 Fälle von Malaria diagnostiziert, von denen 300 einen schweren Verlauf annehmen. Die meisten Menschen, bei denen in den USA Malaria diagnostiziert wurde, erwerben diese auf Reisen. Zu den Leitsymptomen gehören Fieber und Schüttelfrost. Ohne geeignete Behandlung können auf die Infektion schwerwiegende Komplikationen wie Nierenversagen, generalisierte Krampfanfälle, geistige Verwirrung und Koma folgen. Schwere Malariaerkrankungen können tödlich ausgehen.
Die Sicherheit und Wirksamkeit des Wirkstoffes wurden in zwei randomisierten kontrollierten Studien dargelegt. In Studie 1 wurden 1461 Patienten eingeschlossen, die entweder Artesunat oder das Vergleichsmedikament Chinin erhielten. Es wurden auch Kinder miteingeschlossen – insgesamt wurde das Präparat an 202 pädiatrische Patienten unter 15 Jahren getestet. Studie 2 umfasste 5425 randomisierte pädiatrische Patienten unter 15 Jahren mit schwerer Malaria, die mit Artesunat oder Chinin behandelt wurden. In beiden Studien war die Anzahl der mit Artesunat behandelten Patienten, die verstarben, signifikant niedriger als die Anzahl der Patienten, die in der mit Chinin behandelten Kontrollgruppe starben.
Onkologie
Artesunat gilt als vielversprechender Kandidat für die Therapie maligner Tumore. Heidelberger Forscher fanden bereits vor knapp zehn Jahren heraus, dass Artesunat den Krebszell-spezifischen lysosomalen Zelltod aktivieren kann. Die Forscher erläuterten damals, dass intakte Lysosomen die Voraussetzung dafür sind, dass das Zelltodsignal an die Mitochondrien weitergeleitet wird. Mitochondrien sind ja normalerweise die „Kraftwerke“ der Zelle – im programmierten Zelltod spielen sie häufig durch die Freisetzung sogenannter Pro-Zelltodmoleküle eine Rolle. Im Zelltod durch Artesunat findet diese Umwandlung der Mitochondrien in Zelltod-Organellen in Abhängigkeit des lysosomalen Eisens statt. Durch die Forscher konnte ebenfalls gezeigt werden, dass Artesunat gewisse zelluläre Prozesse blockiert, die normalerweise das Überleben und die Verbreitung von Krebszellen unterstützen. Nach Angaben der Heidelberger Wissenschaftler wurde der Zelltod durch Artesunat nur in Brustkrebs-Zelllinien und nicht in „gesunden“ Brustepithel-Zelllinien ausgelöst.
Wirksam bei Ebola
Das Malariamittel Artesunat-Amodiaquin (ASAQ) konnte die Sterblichkeitsrate bei Ebola senken. Die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen (ÄoG) veröffentlichte dieses Ergebnis einer retrospektiven Beobachtungsstudie. Die Erkenntnis war zufällig gekommen: Das eigentliche Begleitmedikament Arthemeter-Lumefantrin zur empfohlenen Malariatherapie bei Ebola war im Behandlungszentrum im liberischen Foya ausgegangen.
Die Ergebnisse beruhen auf Daten von 381 Patienten. Das Letalitätsrisiko sank durch die Behandlung mit ASAQ um 31 Prozent. Damals kommentierte die Co-Autorin der Studie, Iza Ciglenecki: „Angesichts der besonderen Umstände dieser Studie müssen wir vorsichtig bleiben und können keine weitgehenden Schlüsse ziehen. Doch ASAQ ist durchaus ein vielversprechender Ansatz auf dem Weg zu einer wirksamen Behandlung, der nun unbedingt näher erforscht werden muss. Wir brauchen präklinische und klinische Studien, um die sterblichkeitsverringernde Wirkung von ASAQ bei Ebola-Patienten bestätigen zu können.“
Einsatz bei Covid-19
Forscher des Berliner Max-Planck-Instituts haben den Arzneistoff Artemisinin auch auf eine Wirksamkeit gegen Sars-CoV-2 untersucht. Wissenschaftliche Nachweise fehlen aktuell noch. Studien in China konnten zeigen, dass alkoholische Extrakte aus Artemisia annua das zweitwirksamste pflanzliche Arzneimittel bei der Sars-CoV-Pandemie im Jahre 2005 waren. „Angesichts der Ähnlichkeiten zwischen diesen beiden Viren müssen Pflanzenextrakte und Artemisininderivate gegen das neue Coronavirus getestet werden“, so Proferssor Dr. Peter H. Seeberger, Direktor am Max-Planck-Institut für Kolloid- und Grenzflächenforschung in Potsdam. Sars-CoV-2 ist laut den Forschern unter den bisher bekannten Beta-Coronaviren einzigartig, da es eine polybasische Spaltstelle enthält, von der bekannt ist, dass sie die Pathogenität und Übertragbarkeit in anderen Viren erhöht.
Artemisinin
Der sekundäre Pflanzenstoff wird aus dem Einjährigen Beifuß gewonnen. Die Pflanze wird in China, Vietnam und Ostafrika angebaut. Max-Planck-Forscher aus Magdeburg und Potsdam haben 2018 eine kostengünstiger Möglichkeit zur Wirkstoffproduktion entwickelt. Artemisinin wird danach schneller, umweltfreundlicher und effizienter als bisher aus der Beifuß-Pflanze gewonnen. Die Chemiker kopierten und beschleunigten den natürlichen Prozess, den die einjährige Beifuß-Pflanze in der Natur zur Produktion von Artemisinin anwendet. Der Arzneistoff gehört zu der Gruppe der Schizontoziden (Malariamittel). Chemisch handelt es sich um ein Sesquiterpen-Lacton. Bekannt sind diese Verbindungen auch aus Repellentien. Sesquiterpene wirken antimikrobiell, antineoplastisch, antiarthritisch, antiphlogistisch und kardioton (Steigerung der Herztätigkeit).
Der Wirkmechanismus ist bisher nicht vollständig geklärt, die Identifizierung des Resistenzmechanismus gibt weitere Informationen zur Wirkung. Der Wirkstoff besitzt eine Peroxidstruktur – in Anwesenheit von Eisenionen wird Artemisinin instabil und bildet freie Radikale. In Erythrozyten und dem Malariaerreger selbst ist die Eisenkonzentration hoch. Somit wird eine Abtötung der Plasmodien durch freie Radikale vermutet. Um die toxische Wirkung entfalten zu können, muss Artemisinin aktiviert werden. Nimmt der Malariaparasit Hämoglobin auf, so verdaut er den Blutfarbstoff und bildet Hämoglobinaubbauprodukte. Diese Abbauprodukte führen zur Aktivierung von Artemisinin; der Parasit stirbt.