Phytopharmaka: Apothekenpflicht wackelt Nadine Tröbitscher, 31.05.2017 14:46 Uhr
Wenn der Sachverständigenausschuss für Apothekenpflicht tagt, wird es ernst. Das letzte Treffen der Experten ist acht Jahre her, damals wurden Melisse und Passionsblume jeweils in Kombination mit Baldrian sowie Artischocke aus der Offizin entlassen. Am 13. Juni stehen wieder pflanzliche Arzneimittel auf der Agenda: Marken wie Bronchipret, Cystinol und Sogoon könnten Konkurrenz aus der Drogerie bekommen.
Auf der Tagesordnung stehen unter anderem Zubereitungen aus Teufelskrallenwurzel, Thymiankraut einzeln und in Mischungen mit Primelwurzel sowie Goldrutenkraut beziehungsweise Echtem Goldrutenkraut. Auch Zubereitungen aus Birken- und Orthosiphonblättern – jeweils einzeln und gemeinsam – sowie die Kombinationen aus Birkenblättern und Goldrutenkraut/Echtem Goldrutenkraut beziehungsweise Birkenblättern, Orthosiphonblättern und Goldrutenkraut/Echtem Goldrutenkraut sollen aus der Apothekenpflicht entlassen werden. Sämtliche Positionen beziehen sich auf Produkte, die als traditionelle pflanzliche Arzneimittel registriert sind.
Alle sechs Phytopharmaka sollten bereits 2014 in den Mass Market entlassen werden, damals waren aber konkret die Trocken- beziehungsweise Fluidextrakte genannt worden. Außerdem gab es keine Einschränkungen mit Blick auf den Zulassungsstatus. Nach schriftlichem Austausch wies der Ausschuss die Anträge ab.
Wegen der Einschränkungen ist der neuerliche Anlauf unter anderen Vorzeichen zu sehen. Zwar drohen den Apotheken keine prominenten Marken verloren zu gehen. Thymian-haltige Produkte wie Bronchipret (Bionorica), Bronchicum (Klosterfrau) haben nämlich genauso eine Zulassung als pflanzliche Arzneimittel wie das Blasenmittel Cystinol long (Schaper & Brümmer) oder die Rheumamittel Sogoon (Aristo) und Teltonal (Hexal). Betroffen wäre im Falle einer Freigabe aber beispielsweise der Thymian-Hustensaft von Ratiopharm oder Ardeynephron-Kapseln mit Orthosiphon zur Durchspülungstherapie, die als traditionelle pflanzliche Arzneimittel registriert und bislang apothekenpflichtig sind.
Womöglich erhöht gerade die Beschränkung auf registrierte Produkte die Chance für die beantragten Freigaben. Vereinzelt gibt bereits heute „Fremdgänger“ mit entsprechenden Bestandteilen: Die Bronchicum-Lutschtabletten mit 11,25 mg Trockenextrakt sind als registrierte Arzneimittel „zur Unterstützung der Schleimlösung bei Husten im Rahmen von Erkältungen“ nicht apothekenpflichtig und damit immer wieder im Drogeriemarkt zu finden. Die Lutschpastillen enthalten dagegen 42 mg Extrakt und haben eine Zulassung „zur Besserung der Beschwerden bei Erkältungskrankheiten mit zähflüssigem Schleim“ und „zur Besserung der Beschwerden bei akuter Bronchitis“.
Bei den Teufelskralle-Kapseln der Marke Doppelherz nutzt der Hersteller Queisser einen Trick für den Verkauf außerhalb der Offizin: Das Produkt wird nicht als Mittel gegen Gelenkbeschwerden vermarktet, sondern als traditionelles Arzneimittel „zur Unterstützung der Verdauungsfunktion“. Auf der Packung wird dagegen grafisch eine Wirkung auf den Rücken suggeriert. Rossmann vertreibt im Portfolio der Eigenmarke Altapharma Kapseln mit Teufelskralle, auch hier bezieht sich die Indikation auf das Verdauungssystem.
Eine Registrierung als traditionelles pflanzliches Arzneimittel erhalten Präparate, die seit mindestens 30 Jahren medizinisch verwendet werden, die Hälfte von in der EU. Daten zur klinischen Wirksamkeit müssen jedoch nicht vorgelegt werden, sondern nur Daten zur pharmazeutischen Qualitäts- und Sicherheitskontrolle. Prominente Beispiele der jüngeren Vergangenheit sind die Hexal-Produkte Pelasya und Solvohexal. Ob ein traditionelles pflanzliches Arzneimittel apothekenpflichtig ist, hängt von der belegten Indikation ab.