Urologika

Mictonorm: Vom Dragée zur Filmtablette

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Berlin -

Seit Jahresbeginn ist Mictonorm (Propiverin) von Apogepha als weiße Filmtablette statt wie zuvor als rosafarbenes Dragée auf dem Markt. Restbestände werden noch abverkauft. Die Gründe für einen Wechsel der Arzneiform sind vielfältig.

Die Veränderung ist minimal, doch der ein oder andere Kunde wird sich sicher wundern, dass Mictonorm nun eine andere Farbe hat. Auch der Geschmack könnte anders sein. Der Kern der Tablette, welcher den Wirkstoff enthält, ist gleich geblieben. Eine veränderte Wirkung ist also nicht zu erwarten. Lediglich der Überzug der Tablette wurde ausgetauscht.

Es gibt viele Gründe, eine Tablette zu überziehen: Geschmacksverbesserung, verbesserte Konfektionierung, ästhetische Gründe, Schutz des Arzneimittels vor äußeren Einflüssen, Magensaftresistenz, Modifizierung der Wirkstofffreisetzung, Schluckerleichterung, leichtere Identifizierung.

Mictonorm und die niedriger dosierte Variante für Kinder, Mictonetten, werden zur Behandlung von (Drang-)Inkontinenz und erhöhter Miktionsfrequenz eingesetzt. Propiverin hemmt den Einstrom von Calcium-Ionen in die glatten Muskelzellen der Blase und wirkt dadurch spasmolytisch. Außerdem hemmt der Wirkstoff durch seine anticholinergen Eigenschaften den Nervus pelvicus, der für die Kontraktion des Detrusors (Blasenmuskel) verantwortlich ist. Der Detrusor ist verantwortlich für einen erhöhten Druck auf die Blase.

Zuvor wurden die Tabletten klassisch mit einer Glucose dragiert. Bei dem Verfahren werden die Tablettenkerne in einen Dragierkessel gegeben, der langsam rotiert. Nach und nach wird Dragierflüssigkeit zugeführt, gleichzeitig lassen Warmluft oder IR-Strahler die Flüssigkeit auf der Oberfläche der Kerne trocknen. So entsteht schrittweise eine stabile Schicht, die Tabletten gewinnen an Gewicht und Volumen.

Die Schichten haben unterschiedliche Zusammensetzungen und erfüllen verschiedene Aufgaben. „Imprägnieren“ schützt den Kern vor Wassereintritt. „Andecken“ bietet einen mechanischen Schutz für den Kern. „Auftragen“ ist der eigentliche Dragiervorgang, weitere Schritte sind „Färben“, „Glätten“ und „Polieren“.

Neben einer Zuckerschicht zur Überdeckung des bitteren Geschmacks von Propiverin enthielt der Überzug einen Azofarbstoff. Dieser wurde laut Herstellerangaben aus allen Produkten entfernt, um allergischen Reaktionen vorzubeugen. Meldungen solcher Reaktionen habe es allerdings nicht gegeben, dies sei eine reine Vorsichtsmaßnahme, so eine Sprecherin.

Doch auch die hohen Produktionskosten und die Schwierigkeiten der Automatisierung der Prozesse machten das Verfahren unattraktiv. Bis zu 50 Dragiervorgänge pro Charge können nötig sein, der Prozess dauert dann etwa eine Woche.

Die wirtschaftlichere Variante ist die Produktion von Filmtabletten. Hier sind die Kerne nur mit einer einzigen Schicht überzogen. Diese vereint alle Eigenschaften, für die ein Dragée sehr viele Schichten benötigt. Die Zeitersparnis ist enorm. Die Kerne gewinnen normalerweise nicht an Gewicht und Volumen, daher sind sogar Gravuren des Kerns nach der Befilmung noch sichtbar.

Die neuen Mictonorm-Tabletten mit Filmüberzug sind daher etwas schlanker, der Unterschied bewegt sich jedoch im mikroskopischen Bereich. Der bittere Geschmack des Wirkstoffs kann potenziell schneller wahrgenommen werden, da der Speichel den dünnen Überzug anlöst und Propiverin freilegt. Die Mictonetten bleiben daher beim Zuckerüberzug, um die Therapietreue der Kinder durch eine Geschmacksbeeinträchtigung nicht zu gefährden.

Das Produkt ist eine Eigenentwicklung der Firma Apogepha. Es hatte zunächst eine alte DDR-Zulassung und wurde nach der Wende neu für die Bundesrepublik zugelassen. In der Gruppe der urologischen Spasmolytika haben Mictonorm und Mictonetten als mit Abstand führende Präparate mit Propiverin laut Arzneiverordnungsreport einen Anteil von rund 8,5 Prozent der insgesamt verschriebenen Tagesdosen (DDD). Die meistverschriebenen Wirkstoffe in dieser Indikationsgruppe sind Trospiumchlorid (Spasmex) und Solifenacin (Vesicur).

Das Dresdener Unternehmen wurde 1882 von Apotheker Carl Stephan gegründet. Der Laboratoriumsbetrieb seiner Kronenapotheke im Stadtteil Neustadt schloss sich mit dem Laboratorium Dr. Ostermeyer zusammen. 1933 übernahmen Dr. Johannes Starke und Max Biering die Leitung, zum ersten Mal jetzt unter dem Namen „Apogepha“. Dieser leitet sich ab von „Apotheker Genossenschaft für pharmazeutische Präparate“.

Starke rettete den finanziell angeschlagenen Betrieb durch den Zweiten Weltkrieg. Beim Luftangriff auf Dresden im Jahre 1945 wurde die Betriebsstätte zu 90 Prozent zerstört. Es folgten der Wiederaufbau und die Integrierung der chemischen Synthese in den Geschäftsbetrieb. 1972 folgte die Enteignung, der Betrieb wurde verstaatlicht. Gleich nach der Wende wurde die Apogepha 1991 als erstes ostdeutsches Pharmaunternehmen durch Dr. Christian Starke reprivatisiert. So befand sich das Unternehmen wieder in Besitz der Familie. Seit 2000 leitet Henriette Starke das Unternehmen in dritter Generation.

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