Viren sind für ihre hohen Mutationsfähigkeiten bekannt. Das beste Beispiel ist derzeit Sars-CoV-2. Immer wieder finden sich virale Ausweichstrategien und Immunfluchten. Diese Mutationsfreudigkeit wurde durch Forscher:innen belegt. Explizit bei dem Kontakt mit dem Wirkstoff Remdesivir, ein zugelassenes Virustatikum zur Behandlung der Corona-Erkrankung, scheint die Mutationsrate hoch zu sein.
Virolog:innen vermuten, dass die Entstehung von Virus-Varianten in immungeschwächten Personen, mit langanhaltenden Covid-19-Infektionen, eine Schlüsselrolle spielen. In ihnen kann sich das Virus ohne große Gegenwehr entwickeln. Mutationen reichern sich an und bilden die günstigsten Kombinationen zur Immunflucht. Werden solche Patient:innen zudem mit Antikörper-Präparaten oder Serum von Genesenen behandelt, kann dies in ihrem Viren-Cocktail die Mutationen begünstigen, die den Erreger gegen solche Antikörper immun machen. Anfang 2021 lieferte eine Studie dazu bereits erste Hinweise.
Andreas Heyer und seine Kolleg:innen vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf entdeckten einen weiteren Auslöser für Mutationen von SARS-CoV-2. Sie belegten dies anhand von Untersuchungen an von Virenproben von 14 immungeschwächten Patient:innen. Deren Erkrankung an Corona dauerte zwischen 30 und 146 Tage. Innerhalb dieses Zeitraumes wurden einige von ihnen mit dem antiviralen Mittel Remdesivir behandelt. Andere Patient:innen hingegen nur mit entzündungshemmenden Mitteln. Das Team untersuchte mithilfe einer Genom-Sequenzierung, wie sich die Virenpopulation im Verlauf der Behandlung genetisch veränderte. Sie prüften weiterhin bei auftretenden Mutationen, wie gut diese sich im Patienten gegenüber anderen Varianten behaupteten.
Im Endeffekt konnte gezeigt werden, dass das Virus in Personen mit langanhaltender Krankheit eher nicht mutiert und recht stabil ist. In Patient:innen die Remdesivir bekamen hingegen mutiert SARS-CoV-2 mitunter schon direkt nach Gabe der antiviralen Therapie. Koautor Adam Grundhoff vom Leibniz-Institut für Virologie in Hamburg berichtet: „Wir konnten in einer Patientin, die mit Remdesivir behandelt wurde, beobachten, dass es unmittelbar nach Behandlungsbeginn zur Bildung einer hohen Anzahl von Mutationen kam – darunter auch mindestens einer Mutation, die mit hoher Wahrscheinlichkeit eine erhöhte Resistenz gegenüber Remdesivir vermittelt“. Bei dieser Patientin konnten neun Mutationen identifiziert werden. Jede etablierte sich nach wenigen Tagen in der Viruspopulation und fanden sich bei 100 Prozent der Virenproben wieder. Ein weiterer Patient wies zwar unter der Behandlung mit Remdesivir zwei Mutationen auf, diese blieben aber in weiteren Proben nicht erhalten.
Diese Ergebnisse bestätigen, dass antivirale Therapien das Auftreten von Virusmutationen und ihre Etablierung im Virusgenom fördern können. Mutationen entstehen gehäuft im sogenannten evolutionären Flaschenhals – einer Situation, in der sich Anzahl und genetische Vielzahl der Viren stark reduzieren. In solchen verarmten Populationen können sich mutierte Varianten durchsetzen und mit einer verbesserten Anpassung weiter vermehren.
Eine Therapie mit antiviralen Mitteln kann einerseits Leben retten, aber andererseits die Entwicklung von neuen Virusvarianten fördern. „Diese Erkenntnis ist besonders mit Blick auf die jüngsten Diskussionen über den Einsatz von Remdesivir zur Behandlung von nicht hospitalisierten Hochrisiko-Patientinnen und -Patienten wichtig, aber auch für die Einführung potenziell neuer antiviraler Therapeutika“, sagt Koautorin Nicole Fischer. Personen die noch nicht schwer erkrankt sind sollten laut Forscher:innen auch keine prophylaktische Therapie mit antiviralen Mitteln erhalten um die Enstehung neuer Virusvarianten nicht zu begünstigen.
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