SSRi/SNRI

Antidepressiva: Neue Warnhinweise

, Uhr
Berlin -

Aufgrund der zunehmenden Meldungen über langanhaltende Beeinträchtigungen der sexuellen Funktion unter der Therapie mit selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmern (SSRI) und Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmern  (SNRI) hat die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) beschlossen, dass die Zulassungsinhaber einen zusätzlichen Warnhinweis in die Fachinformationen aufnehmen müssen.

Die Meldungen zur sexuellen Dysfunktion beinhalten nicht nur das Auftreten der Symptomatik während der Einnahme von SSRI und SNRI – auch nach dem Absetzen der Medikamente blieben die Beschwerden bestehen. Die EMA geht in Bezug auf die konkreten Zahlen von einer hohen Dunkelziffer aus, da es sich um ein klassisches Tabu-Thema handelt: Betroffene berichten selten direkt über die Beeinträchtigung ihrer sexuellen Funktion, zudem fragen viele Ärzte ihre Patienten nicht gezielt nach diesen Beschwerden. Desweiteren lassen sich die Beschwerden des Libidoverlustes nach dem Absetzen der Wirkstoffklassen nicht mehr direkt als unerwünschte Arzneimittelwirkung zuordnen.

Die EMA veranlasste aufgrund der zunehmenden Meldungen die Aufnahme eines Warnhinweises in die Produktinformationen von SSRI und SNRI: Er beinhaltet die Information, dass es bei der Einnahme zu einer möglicherweise anhaltenden Beeinträchtigung der sexuellen Funktion kommen kann. Die Grundlage sind Hinweise, die bereits im September 2018 zu einem europäischen Risikobewertungsverfahren geführt hatten.

SSRI und SNRI zählen mit zu den am meisten verordneten Arzneistoffen zur Behandlung von Depressionen. Zu den häufigsten Nebenwirkungen zählen unter anderem Kopfschmerzen, Unruhe, Schlafstörungen und Übelkeit, sowie Verdauungsprobleme. Wird die Therapie abgesetzt, bilden sich diese unerwünschten Wirkungen relativ schnell – meist innerhalb ein bis zwei Wochen – zurück. Anders sieht es bei den Sexualdysfunktionen aus: Sie bleiben auch nach dem Absetzen bestehen und können irreversibel sein.

Anfang des Jahres wurde im Zusammenhang mit SSRI auch ein erhöhtes Suizid-Risiko diskutiert: Die NDR-Sendung Visite nahm sich dem Thema an. Demnach entwickeln einige Patienten den „Suizid-Wunsch“ erst während der Behandlung mit solchen Antidepressiva. Im Beitrag kamen mehrere Experten zu Wort. Das Fazit: Antidepressiva würden zu oft und zu sorglos verschrieben. Der Suizid-Forscher Professor Dr. Bruno Müller-Oerlinghausen wertete in diesem Zusammenhang Daten von 250.000 Menschen, die mit Serotonin-Wiederaufnahmehemmern (SSRI) behandelt wurden, aus – 85 der Patienten wurden durch die Arzneimitteltherapie suizidal.

Die Wirkung der SSRI beruht auf einer selektiven Hemmung der Wiederaufnahme von Serotonin durch die präsynaptischen Nervenzellen. Die Konzentration des Neurotransmitters im synaptischen Spalt steigt – Ängste, Traurigkeit, Antriebslosigkeit und Depression werden vermindert. Die Fähigkeit, im Alltag zu funktionieren, werde erhöht, jedoch werde auch in einigen Fällen der Wunsch nach Selbstmord gesteigert: Ein bekanntes Problem bei Antidepressiva. Gefährlich wird es vor allem, wenn bei schwer depressiven Menschen nur der Antrieb gesteigert wird, nicht aber die Stimmung. Hinzu kommt, dass die antidepressive Wirkung erst nach einigen Wochen einsetzt, während die aktivierenden Effekte meist schnell sichtbar werden. Die Folge: Die Patienten sind zwar immer noch depressiv, haben aber mehr Energie und setzen ihren Selbstmordgedanken in die Tat um

In Deutschland leiden schätzungsweise mehr als vier Millionen Menschen an einer Depression. Die Betroffenen fühlen sich niedergeschlagen, antriebs- und interesselos und haben unter anderem Schlafstörungen und sind in ihrer Leistungsfähigkeit stark eingeschränkt. Je nach Schwere der Krankheit können Suizidgedanken auftreten. Die Wirkung der indizierten Arzneimittel setzt oft erst nach Wochen ein, diese „Wartezeit“ ist für die Depressiven häufig mit einer zusätzlichen Belastung verbunden.

Newsletter
Das Wichtigste des Tages direkt in Ihr Postfach. Kostenlos!

Hinweis zum Newsletter & Datenschutz

Neuere Artikel zum Thema

APOTHEKE ADHOC Debatte