Psychopharmaka

Antidepressiva: Suizid-Risiko für Kinder APOTHEKE ADHOC, 01.02.2016 09:03 Uhr

Berlin - 

Die Behandlung von Kindern und Jugendlichen mit bestimmten Antidepressiva kann das Risiko für Aggression und Suizidalität verdoppeln. Das haben Forscher der Universität Kopenhagen im Rahmen einer Metaanalyse herausgefunden. Wegen schlechter Studiendesigns könnte die Dunkelziffer sogar noch höher liegen. Die Gefahren der Medikamente würden bislang überhaupt nicht berücksichtigt, so das Ergebnis der Untersuchung. Bei Kindern sollten die entsprechenden Wirkstoffe daher allenfalls in Ausnahmen eingesetzt werden.

Antidepressiva wirken unterschiedlich. Während einige Gruppen stimmungsaufhellend (thymoleptisch) wirken, sind andere Substanzen überwiegend antriebssteigernd (thymeretisch). Gefährlich wird es, wenn bei schwer depressiven Menschen nur der Antrieb gesteigert wird, nicht aber die Stimmung. Dann kann es zu Suiziden kommen.

Besonders von selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) und Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (SNRI) sind suizidale Effekte zwar seit mehr als 20 Jahren bekannt, offenbar wurden diese bislang aber deutlich unterschätzt.

Die dänischen Forscher untersuchten Daten von mehr als 18.000 Patienten aus 70 doppelblinden Studien, in denen die Wirkstoffe Duloxetin, Fluoxetin, Paroxetin, Sertralin und Venlafaxin verabreicht worden waren. Das Ergebnis: Erwachsene zeigten unter Behandlung mit SSRI und SNRI verstärkt motorische Unruhe. Für Kinder und Jugendliche verdoppelte sich aber das Risiko für Suizid und Aggressivität. Mehr als 150 Suizidversuche wurden identifiziert. Vier der insgesamt sechs Suizide waren allerdings nicht ordnungsgemäß dokumentiert und mit einem Medikament in Zusammenhang gebracht worden, das nach Ansicht der Wissenschaftler tatsächlich notwendig war.

Insgesamt habe ein Großteil der untersuchten Studien ein schlechtes Studiendesign, bemängeln die Wissenschaftler. Die Dokumentation sei vielfach unzureichend, oft seien Suizidversuche unter den Begriffen „emotionale Labilität“ oder „Verschlechterung der Depression“ gelistet und so zunächst gar nicht erkennbar gewesen. Erst nach Analyse von Patientendaten habe man erkennen können, dass es sich tatsächlich um schwerwiegende Fälle gehandelt habe.

Die Dunkelziffer der Suizidversuche sei vermutlich noch deutlich höher, vermuten die Wissenschaftler. Da zwar die Fachpublikationen, nicht aber die Studienprotokolle mit den vollständigen Patientendaten zur Verfügung gestellt wurden, habe man gar nicht alle Vorfälle erfassen können. Deutlich sei dennoch, dass das Ausmaß der Schäden durch die Medikamente mit großer Wahrscheinlichkeit unterschätzt werde.

Die Wissenschaftler fordern einen offeneren Umgang mit den Studiendaten. Solange nicht genau ausgewertet werden könne, wie hoch das Risiko für Suizide bei depressiven Patienten unter SSRI- und SNRI-Behandlung wirklich sei, müsse zumindest bei Kindern mit großer Vorsicht vorgegangen werden. Sponsoren von klinischen Studien fordern die Autoren auf, auch individuelle Patientendaten öffentlich zu machen.