Antibiotika: Weniger Neueinführungen – mehr Resistenzen Alexandra Negt, 18.11.2019 17:38 Uhr
Der Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller (BAH) machte mit einer Konferenz auf die stark sinkende Zahl von Neuzulassungen innerhalb der Arzneistoffgruppe der Antibiotika aufmerksam. Gleichzeitig steigt die Anzahl multiresistenter Bakterienstämme. Die Krux liegt laut Verband zwischen unrentablen Bedingungen, aufwendiger Zulassung und einem geringen Marktabsatz.
Die Resistenzentwicklung von Bakterien war bis Ende der 80er-Jahre relativ stabil, im Zuge der Globalisierung stieg sie seitdem stark an. Durch vermehrte Fernreisen und globalen Handel kam es zur Keimverschleppung – resistente Formen aus anderen Ländern konnten sich auch in Deutschland ansiedeln. In den 90er-Jahren wurden außerdem zahlreiche Breitbandantibiotika zugelassen. Durch vermehrten Einsatz und fehlerhafte Einnahme entwickelten sich Resistenzmechanismen – in diesem Zeitraum bildeten beispielweise Penicillin-sensitive Bakterienstämme die ß-Laktamasen aus. Betrachtet man den Keim Escheria coli (E. coli), so stieg der prozentuelle Anteil an resistenten Stämmen im Hospitalbereich von 20 Prozent Ende der 80er-Jahre auf knapp 60 Prozent im Jahre 2010.
Europaweit unterscheiden sich die Zahlen von resistenten Bakterienstämmen stark: In den Niederlanden und Skandinavien sind Resistenzen weitaus seltener als im südeuropäischen Raum. Laut dem wissenschaftlichen Leiter der AG Empfindlichkeitsprüfungen & Resistenz der Paul-Ehrlich-Gesellschaft, Professor Dr. Michael Kresken, gibt es zwar europaweite Anweisungen zur Eindämmung multiresistenter Keime, doch werde die Umsetzung nicht zentral überprüft. Jeder Mitgliedsstaat habe eigene Hygiene-Vorgaben. Mitunter unterscheiden sich die Vorgehensweisen von Kranken- und Pflegeeinrichtungen auch innerhalb Deutschlands stark.
Zu den multiresistenten Keimen gehören zumeist sogenannte Hospital-Keime wie der Methicillin-resistente Staphylococcus aureus (MRSA). Eine Infektion kann insbesondere bei Frühgeborenen und immungeschwächten Menschen zu schweren Komplikationen führen. Um die Bakterien abzutöten, werden Reserveantibiotika eingesetzt. Im stationären Bereich handelt es sich um parenteral angewendete Arzneistoffe. Im ambulanten Bereich gelten Cephalosporine, Fluorchinolone und neuere Makrolide zu den Reserveantibiotika.
Antibiotika seien eine unverzichtbare Errungenschaft in der Behandlung von Infektionskrankheiten; es sei daher nicht nur wichtig, dass neue Arzneistoffe entwickelt würden, sondern dass bereits am Markt befindliche Arzneimittel weiterhin vertrieben würden, betont Dr. Elmar Kroth, Geschäftsführer Wissenschaft des BAH. Die Anmeldungen für bereits generische Arzneistoffe sinken stetig, so wurden 2019 bislang nur acht Präparate mit Roxythromycin zugelassen – 2009 waren es noch 21 Präparate.
Der gesamte Antibiotika-Markt machte rund 1,6 Prozent der GKV-Arzneimittelausgaben (ohne Rabatte) aus. Auf die abgegebenen Packungen bezogen entfallen ungefähr 5 Prozent auf Antibiotika. Der Umsatz mit Antibiotika ist für Pharmaunternehmen gering. Betrachtet man den Generikamarkt, so liegt beispielsweise der Festbetrag des Herstellers für eine Packung Ciprofloxacin bei 35 Cent.
Bei der Entwicklung neuer Wirkstoffe sieht die Rentabilität auf Dauer ähnlich aus, betont Dr. Robert Welte, Leiter Market Access GlaxoSmithKline (GSK). Die Kosten für Forschung und Entwicklung könnten durch den Marktabsatz nicht wieder eingenommen werden. Denn die Verordnungszahlen würden aufgrund der Indikationsstellung gering ausfallen: Neue Arzneistoffe würden als Reserveantibiotikum zugelassen werden und nur im Einzelfall zum Einsatz kommen. Die Zahl der Pharmaunternehmen, die ihre Forschung im Bereich Antibiotika einstellen steigt: Zuletzt stiegen AstraZeneca (2016) sowie Novartis und Sanofi (2018) aus.
Der Forschungsfokus der Pharmaunternehmen ist aufgrund finanzieller Anreize auf bestimmte Indikationen beschränkt, so konzentriert sich GSK beispielsweise auf die Gebiete HIV, Onkologie und Oprhans. Die Antibiotikaforschung ist laut Welte nur ein Randgebiet. Für eine vereinfachte Markteinführung könnte die Europäische Arzneimittelbehörde (EMA) analog zum Verfahren der Orphan-Drugs handeln, schlägt Welte vor: Arzneimittel zur Behandlung seltener Erkrankungen können durch einen Orphan-Status bereits vor Zulassung verordnet werden. Wird das Arzneimittel zugelassen, so erhält es darüber hinaus eine zehnjährige Marktexklusivität, die unabhängig vom Patentschutz gilt: Ähnliche Arzneistoffe werden vorerst nicht zugelassen, solange diese keine Überlegenheitsstudie vorweisen können.
Unabhängig von der Entwicklung neuer Arzneistoffe sollten weitere Resistenzen vermieden werden. Durch ein angemessenes Hygiene-Management in Kranken- und Pflegeeinrichtungen könnte die Übertragung vermieden werden. Durch gezielten Einsatz der Wirkstoffe wird das Risiko von Resistenzentwicklungen eingeschränkt. Kresken betonte, dass nicht nur die Verordnungszahlen im ambulanten Bereich problematisch seien. Auch im stationären Bereich komme es zu Anwendungsfehlern: In bis zu 70 Prozent aller Fälle würden präoperative Antibiotika länger als die vorgeschriebenen 24 Stunden gegeben.
Im außerklinischen Bereich verordnen Ärzte häufig noch Antibiotika, ohne dass sichergestellt wurde, ob es sich um eine bakterielle oder eine virale Infektion handelt. Der Nachweis erfolgt mittels Abstrichs. Die Auswertung kann erst einige Tage später erfolgen. Bei der Verordnung und bei der Abgabe sollten Patienten auf die wichtigsten Anwendungshinweise aufmerksam gemacht werden. Antibiotika können zur schnellen Linderung der Beschwerden führen – die Einnahme sollte so lange wie vom Arzt verordnet fortgeführt werden.