Bei den Krankenkassen werden wieder deutlich mehr Verordnungen über Antibiotika eingereicht: 2023 wurden mehr als 36 Millionen Packungen im Wert von mehr als 792 Millionen Euro zu Lasten der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) abgerechnet. Damit liege das Niveau erstmal wieder über dem von 2019, warnt das Wissenschaftliche Institut der AOK (WIdO). Nach Schätzungen sterben weltweit jährlich 1,3 Millionen Menschen infolge von Antibiotikaresistenzen, 9700 Todesfälle entfallen dabei etwa auf Deutschland.
Während die Antibiotika-Verordnungen 2020 und 2021 zurückgingen, stiegen sie 2022 wieder an – 2023 dann sogar um mehr als 18 Prozent, sodass sie nun wieder deutlich höher liegen als vor der Corona-Pandemie. Der Anteil von Reserveantibiotika blieb seit 2020 stabil. Eigentlich hatte sich seit 2014 ein rückläufiger Trend bei den Antibiotika-Verordnungen gezeigt, der durch den Anstieg 2022 aber unterbrochen wurde. „Der erneute Verordnungsanstieg von Antibiotika der Reserve ist besorgniserregend, denn er könnte die Gefahr von Resistenzen weiter verschärfen, was gerade im Falle von lebensbedrohlichen Erkrankungen dramatische Auswirkungen hätte“, so WIdO-Geschäftsführer Helmut Schröder.
Auf Reserveantibiotika, die als mögliche letzte Therapieoption gedacht sind, entfielen 2023 trotz der Einschränkungen und Bedenken immer noch knapp 16 Millionen Verordnungen im Jahr 2023. „Reserveantibiotika sind eine wertvolle Notfalloption – doch die abermals steigenden Verordnungszahlen deuten darauf hin, dass ihr zurückhaltender Einsatz noch nicht konsequent genug gelingt“, so Schröder weiter.
Insgesamt zählt das WIdO 323,7 Millionen Tagesdosen Antibiotika, also statistisch 486 Verordnungen je 1000 GKV-Versicherte. Davon entfallen 275 Verordnungen auf Standard- und 211 auf Reserveantibiotika. Regional seien jedoch teils gravierende Unterschiede erkennbar: Während in Hamburg mit 328 Verordnungen je 1000 Versicherte Zurückhaltung herrscht, liege man im Saarland mit 539 Verordnungen deutlich über dem Schnitt.
Bei den Reserveantibiotika lag der Anteil in Bremen mit etwa 33 Prozent am niedrigsten; mit mehr als 53 Prozent lag Mecklenburg-Vorpommern hier vorn. „Obwohl bei diesen Betrachtungen die regional unterschiedliche Alters- und Geschlechtsstruktur der GKV-Versicherten sowie deren Morbidität unberücksichtigt bleiben, sollten diese teils drastischen regionalen Unterschiede bei Umfang und Struktur der Antibiotikaverordnung Anlass sein, regionale Verschreibungsgewohnheiten kritisch zu hinterfragen“, so Schröder.
Der Einsatz von Antibiotika in der Tierhaltung ist bereits lange umstritten und verstärkt das Problem der Resistenzbildung. Immerhin hier setzt sich der Abwärtstrend aber fort, zumal hier eine Anpassung im Tierarzneimittelgesetz vorgenommen wurde, wonach der Einsatz auf das therapeutisch unverzichtbare Mindestmaß zu reduzieren ist. Zudem werden seit 2023 auch Antibiotika erfasst, die durch Apotheken, Veterinärbehörden oder Hochschulen an Tierärzt:innen abgegeben werden.
Das WIdO weist auf einen weiteren Umstand hin: In den vergangenen zehn Jahren seien nur acht von insgesamt 367 neu auf den Markt gebrachten Wirkstoffen Antibiotika gewesen. Mit dem Arzneimittel-Lieferengpassbekämpfungsgesetz (ALBVVG) werden nun zwar finanzielle Anreize für Neuentwicklungen gesetzt, auch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) fördert mit bis zu 500 Millionen Euro neue Antibiotika. Aber: „Es bleibt abzuwarten, ob diese Incentives wirklich zur Entwicklung neuer antibiotischer Arzneimittel beitragen“, gibt Schröder zu bedenken.