Mit Hitzeschock gegen Amyloid-Plaques Dr. Kerstin Neumann, 20.10.2015 12:51 Uhr
Forscher der Technischen Universität München haben einen neuen Ansatzpunkt gefunden, um Medikamente gegen Alzheimer zu entwickeln. Sie konnten den Mechanismus aufklären, mit dem kleine Hitzeschock-Proteine die Bildung von beta-Amyloid-Plaques verhindern.
Hitzeschock-Proteine (Hsp) sind endogene Eiweiße mit einem Molekulargewicht von 10 bis hin zu fast 100 kDa. Die kleineren Vertreter sind so etwas wie die Feuerwehr der Zellen. Die Moleküle werden in zellulären Stress-Situationen, zum Beispiel bei Temperaturerhöhungen, gebildet. Sie verhindern, dass wichtige Proteine sich zu unlöslichen Aggregaten zusammenlagern und ihre natürliche Funktion verlieren.
Das passiert zum Beispiel bei Alzheimer: Die Amyloid-Plaques entstehen durch eine Zusammenlagerung vieler kleinerer Beta-Amyloid-Proteine zu größeren Fibrillen, die schließlich zum Absterben von Nervenzellen führen. Hsp können das verhindern. Sie binden für einen bestimmten Zeitraum an die Proteine und halten sie in einer löslichen Form. Dadurch bleiben die Proteine funktionstüchtig.
Hsp sind wahre Multitasker: Sie spielen nicht nur bei Alzheimer eine Rolle, sondern auch bei Immunerkrankungen wie Multipler Sklerose und Parkinson, Krebserkrankungen und grauem Star. Diese Vielfältigkeit ist gleichzeitig Segen und Fluch: Die Hsp interagieren mit so vielen verschiedenen Proteinen, dass sie nur sehr schwer als Vorbild oder gar als selektiver Angriffspunkt für Medikamente genutzt werden können. Das könnte sich jetzt ändern: Forscher der Technischen Universität München haben erstmals die genaue Bindungsstelle gefunden, an dem die beta-Amyloide andocken.
Mit verfeinerter Festkörper-Kernspinresonanz-Spektroskopie konnte die Gruppe um Professor Dr. Bernd Reif die Proteine in Aktion sichtbar machen. Dabei hatten die Forscher es mit erschwerten Bedingungen zu tun. „Das Hitzeschockprotein liegt in mehreren Formen gleichzeitig vor, es werden fortlaufend Untereinheiten ausgetauscht“, erklärt Reif. „Außerdem hat es ein großes Molekulargewicht. Diese Faktoren machen eine Strukturanalyse sehr schwierig.“
Die Untersuchungen liefern nun genaue Einblicke in den Bindungsmechanismus des HSP mit den beta-Amyloiden. Gleich zwei Effekte konnten Reif und seine Kollegen beobachten: Hsp binden an gelöste beta-Amyloide, was die Anlagerung an andere Amyloide verhindert. Außerdem kann das Helferprotein aber auch an eine bereits bestehende Amyloid-Fibrille andocken und eine Anlagerung weiterer Eiweiße verhindern.
Verantwortlich dafür ist eine unpolare beta-Faltblatt-Struktur in der Mitte des HSP. Diese Struktur könnte nach Ansicht der Forscher einen neuen Ansatzpunkt für die Bekämpfung von Alzheimer darstellen. Dazu könnte die Bindungsdomäne des HSP nachgebaut oder sogar so verändert werden, dass die Bindung zum beta-Amyloid stärker wird. Damit könnte eine ganz neue Generation von Alzheimer-Medikamenten entwickelt werden.
In Deutschland leben nach Angaben der Deutschen Alzheimergesellschaft rund 1,4 Millionen Menschen mit Demenz. Für das Jahr 2050 geht sie von drei Millionen Betroffenen aus, von denen rund jeder Dritte mehr als 90 Jahre alt sein wird. Laut Demenz-Leitlinie ist die Evidenzlage für die vorhandenen Medikamente nach wie vor noch nicht ausreichend.
Als Standardbehandlung der leichten und mittelschweren Form von Alzheimer werden vor allem die Wirkstoffe Donepezil, Galantamin und Rivastigmin verwendet. Die Cholinesterasehemmer verhindern den Abbau von Acetylcholin (ACh) im synaptischen Spalt und sollen so das ACh-Defizit von Alzheimer-Kranken ausgleichen. Memantin ist der einzige Wirkstoff, der zur Therapie von schwerem Alzheimer zugelassen ist. Der selektive N-Methyl-D-Aspartat-(NMDA)-Rezeptor-Antagonist blockiert die Wirkung pathologisch erhöhter Glutamat-Konzentrationen.
Der Markt ist stark generisch geprägt. Laut Arzneiverordnungsreport entfielen auf die Cholinesterasehemmer 800.000 Verordnungen. Mehr als 75 Prozent davon sind Generika-Verordnungen. Menantin wurde etwa 470.000 mal verordnet.