Die Weltgesundheitsorganisation WHO hat das Ophthalmikum Lucentis (Ranibizumab) nicht auf die Liste der unentbehrlichen Arzneimittel aufgenommen. Aus Sicht der WHO ist offenbar das deutlich preiswertere Avastin (Bevacizumab) ausreichend. Der Wirkstoff steht seit 2013 für die Behandlung von altersbedingter Makula-Degeneration (AMD) auf der WHO-Liste – obwohl es für diese Indikation gar nicht zugelassen ist.
Die Entscheidung der WHO hat durchaus Brisanz: Denn obwohl nur Lucentis eine Zulassung für die Indikation AMD hat, hat die Organisation den Antrag von Novartis abgelehnt. Der Schweizer Konzern vertreibt das Roche-Präparat außerhalb der USA. Im November hatte Novartis beantragt, Lucentis auf die WHO-Liste aufzunehmen, und damit argumentiert, dass der Wirkstoff für die Behandlung von AMD zugelassen ist.
Das konnte die WHO allerdings nicht überzeugen – denn dem stehen enorme Kosten gegenüber, die eingespart werden können, wenn Bevacizumab eingesetzt wird. Das Darmpräparat Avastin wurde wie Lucentis von der Roche-Tochter Genentech entwickelt und wird im Off-label-Use erfolgreich bei AMD eingesetzt.
Zwar könnte Roche daher versuchen, für Avastin eine Zulassungserweiterung zu erreichen. Dies ist allerdings bislang nicht geschehen. Kritiker vermuten, das liege daran, dass Novartis knapp ein Drittel der Roche-Aktien halte. Stattdessen warnt Novartis sogar regelmäßig davor, Avastin statt Lucentis zur Behandlung der AMD einzusetzen.
Das ging zumindest dem italienischen Gesundheitsministerium zu weit. Es warf den Unternehmen vor, sich wettbewerbswidrig abgesprochen zu haben, und fordert 1,2 Milliarden Euro Schadensersatz. Bereits im März wurden die beiden Konzerne von den italienischen Kartellbehörden mit einer Strafe von je 90 Millionen Euro belegt. Inzwischen hat die italienische Arzneimittelbehörde AIFA die Erstattung von Avastin zur Behandlung der AMD freigegeben.
Ähnliche Diskussionen gab es auch in Deutschland, als Lucentis 2007 auf den Markt kam. Bis dahin durfte Avastin im Off-label-Use eingesetzt werden. Weil es mit dem neuen Präparat aber ein zugelassenes Arzneimittel gegen AMD gab, hätte Avastin nicht länger verordnet werden dürfen. Ärzte vereinbarten jedoch mit Krankenkassen, überwiegend Avastin zu verwenden. Das Düsseldorfer Sozialgericht erklärte diesen Vertrag 2008 für zulässig.
Eine zweite Sparmöglichkeit sahen die Kassen zudem in der Auseinzelung der Lucentis-Fläschchen zu mehreren Fertigspritzen, wie sie etwa die Aposan-Tochter Apozyt vornahm. Das Landgericht Hamburg hatte die Auseinzelung allerdings im Januar 2014 verboten. Apozyt hat Rechtsmittel gegen das Urteil eingelegt und sich mit Novartis darauf verständigt, Lucentis bis zu einer Entscheidung in zweiter Instanz nicht mehr auszueinzeln. Inzwischen bietet Novartis Fertigspritzen mit weniger Inhalt an – allerdings zum gleichen Preis.
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