Akupunktur statt Analgetika: Streit um Leitlinie APOTHEKE ADHOC, 10.08.2020 10:58 Uhr
Die Therapie von chronischen Schmerzen ist oft sehr komplex und umfasst verschiedene Bausteine. Das britische National Institute for Health and Care Excellence (NICE) empfiehlt nun in einem Richtlinienentwurf Bewegung, psychologische Therapien und Akupunktur statt der üblichen Schmerzmittel.
Die kürzlich vom NICE veröffentlichte Richtlinie umfasst die Bewertung und Behandlung chronischer Schmerzen bei Menschen ab 16 Jahren. Darunter sind Kopfschmerzen, Schmerzen im unteren Rückenbereich und Ischias, rheumatoide Arthritis, Osteoarthritis, Spondyloarthritis, Endometriose und Reizdarmsyndrom. Die Empfehlungen zur Behandlung chronischer primärer Schmerzen sollen dann beachtet werden, wenn es keine anderen NICE-Leitlinien gibt. Ziele der Empfehlungen sollen eine Belastungsverringerung und eine Verbesserung der Lebensqualität sein.
Nicht-pharmakologische Therapien im Fokus
Der neue Richtlinienentwurf empfiehlt, dass Bewegung, psychologische Therapien und Akupunktur anstelle üblicher Analgetika angeboten werden sollten. In der aktuellen Fassung werden zur Behandlung von chronischen Schmerzen daher vor allem nicht-pharmakologische Behandlungen erwähnt: So sollen beispielsweise überwachte Gruppenprogramme im Bereich Kardio, Body-Mind oder Krafttraining angeboten werden. Desweiteren sollen psychologische Ansätze wie eine kognitive Verhaltenstherapie oder eine sogenannte „Akzeptanz- und Commitment- Therapie (ACT)“ in Betracht gezogen werden. Auch eine Behandlung mit Akupunktur wird empfohlen, ebenso wie elektrische Stimulaton mithilfe von TENS-Geräten oder einer Interferenzstromtherapie.
In Bezug auf die pharmakologische Therapie chronischer Schmerzen macht die Richtlinie ebenfalls klare Angaben – übliche Schmerzmittel sollten demnach nicht eingesetzt werden. „Bieten Sie Personen ab 16 Jahren auf keinen Fall eine der folgenden Möglichkeiten an, um chronische Primärschmerzen zu behandeln“, heißt es im Entwurf. Danach folgen die klassischen Wirkstoffgruppen und Substanzen: Nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR), Paracetamol, aber auch Opioide, Benzodiazepine, Antiepileptika, Lokalanästhetika, Kortikosteroide und Antipsychotika. Nimmt ein Patient bereits Medikamente aus diesen Bereichen ein, sollen die Risiken der Einnahme erläutert werden.
Verbesserte Lebensqualität durch Analgetika fraglich
Grund für die negative Bewertung der üblichen Therapien: Es gebe kaum Anhaltspunkte dafür, dass die häufig verschriebenen Medikamente die Lebensqualität des Patienten positiv beeinflussen. Hinzu kämen Hinweise auf negative Folgen der Einnahme, einschließlich einem erhöhten Suchtpotenzial. Auch auf Antiepileptika und Gabapentinoide solle aufgrund „begrenzter Beweise“ verzichtet werden. Allerdings könnten im Off-Label-Use – nach einer sorgfältigen Nutzen-Risiko-Bewertung – verschiedene Antidepressiva zum Einsatz kommen. Genannt werden hier die Wirkstoffe Duloxetin, Fluoxetin, Paroxetin, Citalopram, Sertralin und Amitriptylin.
„Die Empfehlungen in diesem Richtlinienentwurf sollten sorgfältig geprüft werden, und wir werden die zugrunde liegenden Beweise analysieren“, erklärte Wing Tang, Leiter der Abteilung für professionelle Standards bei der Royal Pharmaceutical Society of Great Britain, wie das „Pharmaceutical Journal“ berichtete. „Apotheker sind oft die erste Anlaufstelle, um Menschen mit chronischen und akuten Schmerzen zu helfen, und werden immer den bestmöglichen Rat geben wollen, basierend auf den neuesten Erkenntnissen, um Menschen bei der Schmerzbehandlung zu unterstützen.“
Martin Marshall, Vorsitzender des Royal College of General Practitioners erklärte zudem: „Die meisten Patienten mit Schmerzen möchten keine Medikamente langfristig einnehmen, und die Allgemeinmediziner möchten dies auch nicht – aber manchmal waren Medikamente das einzige, was Erleichterung bringt.“ Die Empfehlungen für „alternative Therapien“ in den Leitlinien hätten das Potenzial, dem Patienten zu nutzen, allerdings müsste ihnen ein angemessener Zugang zu den Therapien garantiert werden. „Wir sollten auch darauf achten, einige Medikamente nicht völlig außer Acht zu lassen, da ein Mangel an Beweisen auf einen Mangel an qualitativ hochwertiger Forschung zurückzuführen sein kann, insbesondere für ältere Medikamente wie Paracetamol“, fügte Marshall hinzu.