3Sat zeigte gestern eine kanadische Dokumention des Psychotherapeuten und Alkoholikers Mike Pond und seiner Lebensgefährtin, der Journalistin, Maureen Palmer. Das Paar zeigt den Weg des heute 62-Jährigen von einem erfolgreichen und wohlhabenden Familienvater bis hin zum obdachlosen Alkoholiker. Die Hoffnung vieler Betroffener könne die „Anti-Sucht-Pille“ sein.
Nach nur zehn Jahren exzessiven Alkoholkonsums hatte der Psychotherapeut im Alter von 50 Jahren alles verloren; Familie, Praxis, Existenz. Zuvor hatte er 20 Jahre lang selbst Abhängigen geholfen, bis die Sucht sein eigenes Leben beherrschte. Über der Familie lag der Fluch der Sucht, denn schon Vater und Großvater waren Alkoholiker. Überall hatte Pond Alkohol versteckt, selbst am Strand hatte er „wie ein Hund seinen Knochen“ Flaschen verbuddelt. Insgesamt 15 Mal landete er in der Notaufnahme und verließ schließlich seine Stadt Penticton.
Dann landete er jedoch in Vancouvers Drogenviertel Downtown Eastside. Die Dokumentation zeigte seine Suche nach möglichen Therapien und seine einzigen Chancen: die staatlich nicht zugelassene Anlaufstelle für Suchtkranke und die Therapie der Anonymen Alkoholiker, die jedoch bei dem Kanadier nicht funktionierte. Denn Selbstvorwürfe würden nicht berücksichtigt, jedoch litten etwa 40 Prozent der Betroffenen gleichzeitig an psychischen Störungen, so Pond.
Der Psychotherapeut durchlebte qualvolle Monate und lebte nach dem 12-Schritte-Plan der Anonymen Alkoholiker, der jedoch keine Therapie ist, sondern von der Gemeinschaft der Betroffenen lebt. Pond kam zu einem Facharzt für Suchterkrankungen und hinterfragte das Programm, für dessen Wirksamkeit es keine Belege gibt. Heute weiß Pond: Ein Mangel an Dopaminrezeptoren ist Ursache seines Suchtverhaltens. Denn die Belohnungszentrale im Gehirn ist der „Schaltkreis, der bei einer Sucht aus den Fugen ist“.
Jeder Drink ist ein „Schuss Dopamin“, eine positive Erfahrung, die eine „Dopaminüberflutung“ nach sich zieht. Das Arzneimittel Adepend (Naltrexon, Desitin) wird als Tablette verabreicht. In den USA wird das Mittel unter dem Namen Vivitrol vermarktet und intramuskulär injiziert, um die Rezeptoren zu blockieren. Der Rausch bleibt aus und mit ihm auch das Verlangen nach Alkohol, denn „Trinken macht keinen Spaß“. Der Wirkstoff ist in den USA, Kanada, Deutschland und Österreich zur Reduktion des Rückfallrisikos bei Alkoholabhängigkeit zugelassen.
Naltrexon ist ein langwirksamer Opioidantagonist, der kompetitiv an die Rezeptoren im zentralen und peripheren Nervensystem bindet und den Zugang für zugeführte Opioide blockiert. Der Wirkungsmechanismus ist nicht restlos geklärt. Vermutlich verstärkt jedoch Alkoholkonsum beim Menschen eine alkoholabhängige Stimulation des endogenen Opioidsystems. Naltrexon reduziert das Verlangen nach Alkohol während Abstinenz und nach Alkoholaufnahme.
Pond zeigt sich optimistisch in Bezug auf Arzneimittel wie Naltrexon und Gabapentin, die im Verbund zusätzlich zur Verhaltenstherapie das Rückfallrisiko verringern können. Gabapentin kann sich ebenfalls positiv auf das Belohnungszentrum auswirken und wird eigentlich zur Behandlung von Epilepsie und neuropathischen Schmerzen eingesetzt. Die Dokumentation zeigte jedoch, dass „weniger als 10 Prozent“ aller Alkoholiker eine medikamentöse Therapie erhalten. Für Pond „ein schwerer ärztlicher Behandlungsfehler“.
Pond hat es geschafft, er hat ein neues Leben begonnen. Ohne seine Partnerin wäre er nie soweit gekommen, sagt er heute. Palmer hatte ihm eine To-Do-Liste, seinen Lebensänderungsplan, erstellt. Unter anderem standen eine eigene Praxis und sein Führerschein auf dem Programm. All das hat er heute. Seit etwa fünf Jahren ist Pond trocken, er ist optimistisch, trotz Rückfall. Denn jetzt bekommt er monatlich eine Vivitrol-Injektion.
Hoffnung auf eine „Anti-Sucht-Pille“ kam in den vergangenen Jahren auch aus Frankreich. Der Kardiologe Olivier Ameisen hatte Baclofen im Selbstversuch eingenommen. Der alkoholabhängige Arzt verstarb im Alter von 60 Jahren und hat mit Baclofen sein Vermächtnis hinterlassen. In Frankreich ist der Wirkstoff inzwischen Mittel der Wahl und wird von tausenden Ärzten verordnet. Ursprünglich wird Baclofen zur Muskelentspannung eingesetzt. Das Arzneimittel soll jedoch auch das Verlangen nach Alkohol stoppen und die Ängste, die der Entzug mit sich bringt, lindern.
In Deutschland sind nach Angabe der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) 1,8 Millionen Menschen zwischen 18 und 64 Jahren alkoholabhängig. Weitere 1,6 Millionen verwenden Alkohol missbräuchlich. Etwa 74.000 Menschen sterben jährlich an der seit 1968 anerkannten Krankheit.
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