3D-Druck

„Blaupausen statt Fertigarzneimittel“ Hanna Bumann, 15.09.2015 07:49 Uhr

Berlin - 

Anfang August erhielt der US-Hersteller Aprecia die FDA-Zulassung für Spritam (Levetiracetam). Das Besondere: Das Antiepileptikum ist das erste Arzneimittel, das im 3D-Druck hergestellt wird. Das Verfahren ist grundsätzlich nicht neu; im medizinischen Sektor eröffnet es aber ganz neue Möglichkeiten. Die neue Galenik hat nicht nur pharmakokinetische Vorteile, sondern könnte die Arzneimittelversorgung revolutionieren. Irgendwann, glauben Experten, könnten solche Drucker auch in den Apotheken stehen.

Spritam ist an sich nicht außergewöhnlich. Das Präparat ist ein klassisches Generikum, das per Bioäquivalenznachweis zugelassen wurde, und kommt in gängigen Dosierungen von 250, 500, 750 und 1000 Milligramm. Zur Herstellung setzt Aprecia allerdings erstmalig einen 3D-Drucker ein. Das Gerät aus dem Hause Zcorp fertigt das Arzneimittel mithilfe der ZipDose-Technologie, bei der die Tablette in mehreren Lagen aufgebaut wird. Die Schichten werden mittels einer Flüssigkeit verbunden. Der Wirkstoff kann laut Hersteller genauer und individueller dosiert werden als bei Arzneimitteln, die mittels Tablettenpresse hergestellt werden. Das Arzneimittel aus dem 3D-Drucker wird voraussichtlich 2016 auf den US-Markt kommen.

Weil die physikalische Struktur beeinflusst werden kann, lässt sich laut Aprecia auch die Resorption besser steuern. Tabletten aus dem 3D-Drucker könnten mit einer poröseren Oberfläche versehen werden, was zu einer deutlich schnelleren und besseren Resorption des Wirkstoffs führen könne. Der 3D-Druck mache es außerdem möglich, die Tabletten bei schnellerer Lösbarkeit mit mehr Wirkstoff zu beladen. So könnten auch ältere Patienten mit Schluckbeschwerden größere Dosen des Wirkstoffs ohne Probleme zu sich nehmen.

Die Zulassung von Spritam könne daher wegweisend sein für die Personalisierung in der Arzneimitteltherapie, mutmaßen Experten. Dosierungen könnten maßgeschneidert werden, je nach Zustand des Patienten und der Empfehlung des Arztes. Es könnte sogar möglich werden, die 3D-Pillen nach Bedarf aus ihren pharmakologischen Komponenten zusammenzusetzen und direkt vor Ort in der Apotheke zu drucken.

Aprecia ist nicht der einzige Hersteller, der eine Zukunft in der 3D-Produktion von Arzneimitteln sieht. Wissenschaftler auf der ganzen Welt attestieren der neuen Technologie großes Potenzial. Forscher des University College London entwickelten eine Methode zur Herstellung von 3D-Medikamenten in verschiedenen Formen. Mithilfe des Verfahrens „Hot melt extrusion“, also eine Aufeinanderfolge von Schmelzen, Kleben und Pressen, produzierten sie Pyramiden, Doughnuts und Würfel. Formen, die in herkömmlicher Produktion schwierig umzusetzen wären, aber therapeutischen Nutzen hätten, ließen sich im 3D-Druck durchaus herstellen, so die Wissenschaftler.

So stellten die Forscher fest, dass Wirkstoffe je nach Form des Arzneimittels langsamer oder schneller freigesetzt würden. Die Freisetzung sei nicht abhängig von der Oberfläche allein, sondern vom Verhältnis von Oberfläche zum Volumen des Medikaments. Eine pyramidenförmige Tablette gebe Wirkstoffe daher langsamer ab als ein Würfel oder eine Kugel. Dies ermögliche eine Kontrolle der Wirkstoffaufnahme.

Während der 3D-Druck bei Spritam vorrangig dazu dient, die physikalische Struktur zu optimieren, konzentrieren sich andere Forscher auf die Frage, wie die Technologie genutzt werden kann, um ganz neue Medikamente auf molekularer Ebene zu entwickeln. Professor Dr. Lee Cronin von der Universität Glasgow ist einer von ihnen: Er arbeitet an einem „Chemputer“, eine Art 3D-Chemiebaukasten, der in programmierten chemischen Reaktionen verschiedene Moleküle erzeugen kann. Cronin beschreibt das Verfahren mit einer Parallele zum Download-Pionier Apple. Er träumt von einer Welt, in der Patienten ihre eigenen Rezepturen herunterladen und ihre Arzneimittel zu Hause ausdrucken können: „In Zukunft werden wir keine Arzneimittel mehr verkaufen, sondern Blaupausen oder Apps.“

In humanitärem Zusammenhang hat genau das der palästinensische Notfall-Chirurg Tarek Loubani getan. Der anhaltende Konflikt zwischen Israel und Palästina veranlasste den Arzt aus Gaza, die neue Technologie einzusetzen, um gegen die medizinische Unterversorgung in der Region anzuarbeiten: Er fertigte ein Stethoskop, um die Herztöne verletzter Patienten besser abhören zu können. Normalerweise bezahlt man für Geräte dieser Art etwa 200 Dollar, berichtet der Mediziner. Dank des 3D-Drucks koste die Herstellung aber nur rund 30 Cent. Bereits 2012 rief er mit Hilfe der Internet-Community Github das Projekt Gila ins Leben; inzwischen sind hier sogar ein Elektrokardiogramm, ein Pulsometer und ein Dialysegerät entstanden. Die Konstruktionspläne stellt die Community kostenlos zum Download zur Verfügung

Seit den späten 1980er-Jahren entwickeln Wissenschaftler des Massachusetts Institute of Technology (MIT) das Verfahren, das dem 3D-Druck zugrunde liegt. Die Technologie arbeitet mit wasserhaltigen Lösungen, die mehrere Lagen Puder zu einem Komplex verbinden. Später vertieften die Ingenieure ihre Arbeit im Sektor des Gewebe-Engineering und anderen medizinischen Feldern.

Voll funktionsfähige Armprothesen aus dem 3D-Drucker sind inzwischen kaum noch Sensationen. Forscher von der Universität Saarland verkündeten kürzlich die Fertigung einer Handprothese mit Muskelfasern aus einer Nickel-Titan-Kombination, die lebensechte Bewegungen erlauben. Die FDA hat bereits Zulassungen für 3D-gedruckte Gesichts-, Schädel- und Wirbelsäulenimplantate vergeben, auch Zahnprothesen sollen zukünftig 3D-gedruckt werden können. Das Material, das hierfür eingesetzt werden soll, hat ebenfalls die Zulassung der FDA erhalten.

In Tierversuchen wurden bereits 3D-gedruckte Blutgefäße bei Ratten eingesetzt. Experten sehen eine große Chance für die Transplantationsmedizin. In der Chirurgie behelfen sich Ärzte mit 3D-Modellen von Körperteilen, um sich auf schwierige Operationen vorbereiten zu können – kürzlich zum ersten Mal bei einer Herzoperation an einem elf Monate alten Jungen aus Indien.