Meldung zur 25. Welt-Aids-Konferenz in München

2. Berliner Charité-Patient von HIV geheilt Laura Schulz, 18.07.2024 18:44 Uhr

In München treffen sich tausende Experten zur weltgrößten Konferenz zu HIV und Aids. Sorgen macht ihnen die politische Weltlage. Derweil konnte in Berlin ein zweiter Patient geheilt werden. Foto: fizkes/stock.adobe.com
München - 

Hunderttausende sterben alljährlich an den Folgen von Aids: Auch wenn es große Erfolge im Kampf gegen die Immunschwäche-Krankheit gibt, ist sie nicht gebannt. Um potenzielle neue Ansätze geht es vom 22. Juli an bei der 25. Welt-Aids-Konferenz in München. „AIDS 2024“ wolle politische, wissenschaftliche und gesellschaftliche Kräfte mobilisieren, um mit HIV lebenden Menschen weltweit eine Therapie zu ermöglichen, sagt der örtliche Kongresspräsident Professor Dr. Christoph Spinner. Bisher gibt es etwa ein halbes Dutzend Fälle, in denen das Virus bei Infizierten nicht mehr nachweisbar war. Dies gelang durch Stammzelltransplantationen – zuletzt zum zweiten Mal bei einem Berliner Patienten, wie die Charité heute meldet. Die Therapie ist allerdings mit hohen Risiken verbunden und erfordert einen geeigneten Spender, der eine – sehr seltene – Immunität gegen das Virus aufweist.

Die weltgrößte Zusammenkunft zum Thema HIV und Aids findet erstmals seit drei Jahrzehnten wieder in Deutschland statt: 1993 hatten sich Wissenschaftler, Gesundheitsexperten und Aktivisten in Berlin versammelt.

In München werden auf Einladung der Internationalen Aids-Gesellschaft IAS bis zum 26. Juli mehr als 10.000 Teilnehmer aus mehr als 175 Ländern erwartet. Zentral soll es darum gehen, wie die Verbreitung des HI-Virus und des damit verbundenen Immunschwächesyndroms Aids weiter eingedämmt werden können. Dabei sollen neue medizinische Erkenntnisse sowie gesellschaftliche und politische Einflüsse diskutiert werden. Zur Eröffnung will Bundeskanzler Olaf Scholz sprechen.

Die Berliner Charité vermeldet in diesem Zusammenhang einen zweiten geheilten Patienten. Der äußerst seltene medizinische Erfolg sei dem Team der Charité ein weiteres Mal gelungen, heißt es. Beim Patienten sei seit mehr als fünf Jahren trotz fehlender antiviraler Therapie kein HI-Virus mehr nachweisbar. Besonders sei, dass eine von bisherigen HIV-Heilungen abweichende Behandlungsmethode angewandt wurde.

Infrage komme eine Stammzelltransplantation nur für die HIV-Patient:innen, die auch an bestimmten Formen von Blut- oder Lymphknotenkrebs erkranken und bei denen sich diese Krebserkrankung nicht allein mit einer Strahlen- oder Chemotherapie eindämmen lässt. Mit der Stammzellenspende gesunder Menschen werde dann praktisch das Immunsystem ausgetauscht. So ließen sich Krebs und HI-Virus bekämpfen. Doch noch sind diese Erfolgsmeldungen die absolute Ausnahme.

UN-Ziel Ende der Epidemie 2030 ist gefährdet

Seit dem Höhepunkt der Neuinfektionen im Jahr 1995 mit geschätzt etwa 3,2 Millionen hat sich die Zahl laut UNAIDS – das Programm der UN zu HIV/AIDS – mehr als halbiert. Die Todeszahlen konnten seit 2004, als rund zwei Millionen Menschen starben, auf etwa 630.000 und damit ein Drittel reduziert werden.

Die UN wollen Aids-assoziierte Todesfälle bis 2030 aber um über 90 Prozent senken – und das Ende der Epidemie erklären. Schon nächstes Jahr – so ein Teilziel – soll Aids nicht mehr als Bedrohung der globalen Gesundheit gewertet werden. Doch UNAIDS und andere Programme stecken in einer Finanzierungskrise.

Die Entscheidungen, die heute getroffen würden, seien entscheidend dafür, ob die Ziele erreicht werden könnten, sagte IAS-Präsidentin Sharon Lewin kürzlich. IAS-Sprecher Bijan Farnoudi sagte, in manchen Ländern drohen Mittelstreichungen. Damit bleiben hochwirksame Medikamente, die teils auch zur Prävention eingesetzt werden könnten, für viele Menschen besonders im Globalen Süden unzugänglich. Studien warnen vor vielen Millionen weiteren Neuinfektionen und Todesfällen - und hohen Kosten.

„Es ist eine politische Entscheidung, ob die Ziele erreichbar sind“, sagte Peter Wiessner vom Aktionsbündnis gegen AIDS. Die Corona-Pandemie habe alle Aufmerksamkeit absorbiert, nun forderten andere Krisen – nicht zuletzt die Aufstockung der Verteidigungsfähigkeit in Europa angesichts des Ukraine-Krieges - hohe finanzielle Mittel.

Sorge um politische Entwicklung

Mit Sorge blicken Experten auf die politische Entwicklung weltweit und das Erstarken rechter und extremer Kräfte in vielen Ländern – mit der Gefahr von Diskriminierung und Verfolgung von LGBTQ-Gemeinschaften. Menschen ließen sich aus Angst vor Entdeckung oft nicht mehr testen oder ärztlich betreuen, heißt es von der Deutschen Aidshilfe. „Wo Homosexualität, Sexarbeit und Drogenabhängigkeit verfolgt werden, steigen die Zahlen“, erklärte Sprecher Holger Wicht.

In Wladimir Putins Russland zum Beispiel würden Betroffene zunehmend diskriminiert, es gebe keine verlässlichen Daten zur Entwicklung der HIV-Zahlen, sagt Wicht. „Homosexuelle Männer in Russland werden noch stärker stigmatisiert, das Klima für sie wird immer feindlicher.“

In Uganda droht seit 2023 bei „schwerer Homosexualität“ die Todesstrafe. Globale Organisationen wie UNAIDS, das UN-Programm für die Bekämpfung von Aids, fürchten, dass die großen Fortschritte des Landes im Kampf gegen HIV nun gefährdet sind.

„Menschen, die einem hohen HIV-Expositionsrisiko ausgesetzt sind oder bereits mit HIV leben, haben keinen Zugang zu geeigneter Information, Prävention und Therapien oder werden schlicht stigmatisiert. So kann sich HIV ungehindert ausbreiten“, sagt der Infektiologe Spinner speziell mit Blick auf steigende HIV-Zahlen, wie sie derzeit aus Osteuropa gemeldet werden.

Auch in Deutschland herrsche, getrieben von rechten Kräften, teils schon ein anderes Klima, sagt Wicht. „Die Menschen spüren auch in Deutschland, dass da ein anderer Wind weht, dass sie mehr bedroht sind. Wir hören zunehmend von Gewalt gegen queere Menschen. Es scheint so zu sein, dass die Feindlichkeit zunimmt, und das macht Menschen Angst – und kann zu einem stärkeren Rückzug führen.“

Blick in die USA

Mit Besorgnis sehen Fachleute auch die Lage in den USA vor den Präsidentschaftswahlen. Komme Ex-Präsident Donald Trump erneut an die Macht, drohe nicht nur eine verstärkte Diskriminierung von Risikogruppen. Auch die Finanzierung diverser Programme werde wahrscheinlich geschwächt.

Die USA sind bisher einer der größten Geldgeber für Aids-Programme. Laut UNAIDS machte die bilaterale Finanzierung durch die USA zuletzt etwa 58 Prozent der gesamten internationalen HIV-Hilfe aus. Weitere 29 Prozent kamen aus dem Globalen Fonds zur Bekämpfung von AIDS, Tuberkulose und Malaria (GFATM). Den Rest steuerten andere internationale Geber bei.

Zugang zu Medikamenten

Eine Ansteckung mit dem HI-Virus kann unbehandelt die Immunschwäche-Krankheit Aids hervorrufen. Antivirale Medikamente ermöglichen bei rechtzeitiger Behandlung ein weitgehend normales Leben. Zudem verhindert eine erfolgreiche Therapie eine weitere Übertragung.

Doch ein Viertel der mit HIV lebenden Menschen weltweit hat UNAIDS zufolge bis heute keinen Zugang zu Therapien – ein Risiko auch für die Weiterverbreitung. Dramatisch zudem die Zahlen bei den Kleinsten: Nur gut die Hälfte der Kinder mit HIV können lebensrettende Medikamente erhalten.

In vielen Teilen der Welt nicht zugänglich und auch in Europa außer bei homo- und bisexuellen Männern oft noch unbekannt ist die HIV-Prä-Expositionsprophylaxe (PrEP). Rechtzeitig vor einem Risikokontakt eingenommen, können diese Medikamente eine Infektion verhindern. Hoffnungen ruhen auch auf injizierbaren Präparaten, die nur alle zwei bis sechs Monate verabreicht werden müssen.

Aktuelle Lage – international

Geschätzt etwa 1,3 Millionen Menschen weltweit infizierten sich nach UNAIDS-Daten 2022 mit HIV, fast 40 Millionen lebten damit. Nach wie vor stirbt jede Minute ein Mensch an Aids-bedingten Krankheiten. Die Zahlen für 2023 werden in Kürze erwartet.

Vor allem in Osteuropa steigen die Infektionszahlen spürbar an. Die Lage dort ist ein Schwerpunkt der Konferenz. Zwischen 2010 und 2019 wurde in Osteuropa und Asien eine Zunahme der Fallzahlen um 72 Prozent durch UNAIDS berichtet.

Die Mehrheit aller weltweiten Infektionen entfalle weiter auf Afrika, sagte der Infektiologe Spinner vom Universitätsklinikum rechts der Isar der Technischen Universität München.

Laut UNAIDS infizieren sich wöchentlich weltweit 4000 junge Frauen, mehr als 3000 davon im Subsahara-Afrika. Junge Frauen haben dort demnach ein dreifach höheres Infektionsrisiko als gleichaltrige Männer.

Aktuelle Lage – Deutschland

Nach einer zuletzt rückläufigen Tendenz bei den HIV-Neuinfektionen bei homo- und bisexuellen Männern – wohl auch dank PrEP – gibt es in Deutschland seit langem wieder einen Anstieg der HIV-Neuinfektionen. Dies betrifft vor allem intravenös Drogen-Konsumierende, aber auch Heterosexuelle, wie Zahlen des Robert Koch-Instituts (RKI) zeigen. Geschätzt rund 2200 Menschen haben sich demnach im vergangenen Jahr neu mit HIV infiziert, nach 1900 im Jahr davor.

HIV-Diagnosen werden auch in Deutschland oft erst Jahre nach der Infektion gestellt. Aktuell wisse geschätzt etwa jeder zehnte Betroffene nichts von seiner Infektion – mit dem Risiko, das Virus unwissentlich weiterzugeben, sagte Spinner. „HIV wird in erster Linie durch Menschen übertragen, deren HIV-Infektion noch nicht diagnostiziert wurde“, mahnte schon früher das RKI. „Kondome zu benutzen, bleibt ein Grundpfeiler der Prävention von HIV und weiteren sexuell übertragbaren Erregern.“