Seit knapp sechs Monaten sitzt der Bottroper Apotheker Peter S. in Untersuchungshaft – und schweigt. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm vor, mindestens zehntausende Infusionen zur Krebsimmuntherapie gestreckt zu haben. Nun muss das Oberlandesgericht Hamm entscheiden, ob die U-Haft verlängert wird. In verschiedenen straf- und zivilrechtlichen Verfahren soll jetzt Anklage erhoben werden.
Der 46-jährige Apotheker sitzt wegen Fluchtgefahr in Untersuchungshaft, seit am 29. November seine Geschäfts- und Privaträume durchsucht wurden. Auch seine Konten wurden eingefroren. Die Apotheke wird mittlerweile wieder von seiner Mutter geführt, die auch die Betriebserlaubnis erhalten hat.
Für die Staatsanwaltschaft steht fest, dass S. Infusionslösungen gestreckt hat. In mindestens 40.000 Fällen soll er Infusionen zur Krebsimmuntherapie abweichend von den individuellen ärztlichen Verordnungen zu gering dosiert haben. Außerdem soll er bei der Herstellung gegen Hygienevorschriften verstoßen haben; laut Bild-Zeitung sollen sogar zurückgenommene, bereits abgerechnete Infusionen erneut benutzt worden sein. Mit den Kassen hat der Apotheker den vollen Betrag abgerechnet. Der finanzielle Schaden liege bei 2,5 Millionen Euro.
Ausschlaggebend für die Ermittlungen waren Hinweise eines Insiders; ein Abgleich von Abrechnungen und Lieferscheinen ergab Diskrepanzen. Die Staatsanwaltschaft versucht seit einem halben Jahr die Beweise zu sichern, schon wegen des Umfangs nehmen die Arbeiten viel Zeit in Anspruch. Da die sechsmonatige Frist für die U-Haft demnächst abläuft, haben die Ermittler eine Verlängerung beantragt. Parallel soll demnächst Anklage erhoben werden.
S. soll unter zwei Gesichtspunkten der Prozess gemacht werden: Neben Abrechnungsbetrug muss er sich wegen Verstößen gegen das Arzneimittelgesetz (AMG) verantworten. Der Nachweis, dass wegen seiner mutmaßlichen Pfuschereien tatsächlich Patienten zu Schaden gekommen sind, wird wohl nur schwer zu erbringen sein. Laut Staatsanwaltschaft gibt es hier ganz hohe Beweisanforderungen: Hier muss nachgewiesen werden, dass konkrete Patienten unterdosierte Infusionslösungen erhalten haben und dass es ihnen hinterher deswegen schlechter ging.
Gemeinsam mit den behandelnden Ärzten hatte die Staatsanwaltschaft zehn Patienten ausfindig gemacht, die noch kurz vor der Verhaftung mit Infusionslösungen aus der Apotheke behandelt wurden und die nach dem Abbruch noch keine neue Therapie erhalten hatten. Im Dezember waren ihnen Blutproben entnommen und zur Beweissicherung eingelagert worden. Eine Exhumierung wurde dagegen verworfen.
Gelingt der Nachweis, droht S. eine Anklage wegen Tötungsdelikten bis hin zu Mord. Doch auch im Fall einer Verurteilung wegen Verstoßes gegen das Arzneimittelgesetzes und gewerbsmäßigen Betruges muss er mit bis zu zehn Jahren Haft rechnen.
Mehr Chancen, S. wegen der Gefährdung von Patienten belangen zu können, macht sich Sabrina Diehl. Die Anwältin vertritt Betroffene beziehungsweise deren Angehörige, sie will S. auf zivilrechtlichem Weg auf Schadenersatz verklagen. In zwei Fällen soll demnächst Anklage erhoben werden, ein dritter Fall befindet sich in Vorbereitung.
Diehl geht davon aus, dass der Apotheker im Prozess seine Unschuld selbst beweisen muss: Dass bei ihren Mandaten jeweils Infusionslösungen eingesetzt wurden, die in der Apotheke hergestellt wurde, lässt sich laut Anwältin nämlich zweifelsfrei belegen. Tatsache sei auch, dass sich unter der Behandlung die Tumormarker nicht verbessert, sondern verschlechtert hätten. Nach dem Wechsel der Apotheke habe die Therapie dagegen angeschlagen.
Damit sind laut Diehl die Voraussetzungen für eine Beweislastumkehr erfüllt. Im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) heißt es dazu: „Liegt ein grober Behandlungsfehler vor und ist dieser grundsätzlich geeignet, eine Verletzung des Lebens, des Körpers oder der Gesundheit der tatsächlich eingetretenen Art herbeizuführen, wird vermutet, dass der Behandlungsfehler für diese Verletzung ursächlich war.“ Nicht der Patient muss also nachweisen, dass der Fehler zum gesundheitlichen Schaden geführt hat. Vielmehr muss der Behandelnde belegen, dass es keinen kausalen Zusammenhang gibt.
Der Paragraf gilt streng genommen nur für Ärzte, laut Diehl lässt er sich aber auf den Fall des Pfusch-Apothekers übertragen. Die Anwältin spricht von einem Präzedenzfall: „So etwas habe ich in meiner Laufbahn noch nicht erlebt. Das ist ein besonders abartiger Fall, in dem aus reiner Habgier die Gefährdung der Patienten zumindest billigend in Kauf genommen wurde.“
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