Zytoskandal

Pfusch-Apotheke: Informant verliert Job

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Berlin -

Der mutmaßliche Pfusch-Apotheker Peter S. aus Bottrop kann im Streit mit seinem ehemaligen Mitarbeiter Martin L. einen Erfolg verbuchen: Das Arbeitsgericht Gelsenkirchen bestätigte nach Medienberichten die fristlose Kündigung des kaufmännischen Leiters. L. hatte gegenüber der Staatsanwaltschaft als Informant ausgesagt.

Wie die Westdeutsche Allgemeine Zeitung (WAZ) unter Berufung auf Radio Emscher Lippe berichtet, hat das Arbeitsgericht die fristlose Kündigung für rechtmäßig erklärt. Ausschlaggebend war aber nicht die Tatsache, dass L. gegen seinen ehemaligen Chef ausgesagt und damit die Ermittlungen ins Rollen gebracht hatte. Vielmehr sah die Richterin erhebliche Pflichtverletzungen, die das harte Vorgehen rechtfertigten.

Schon im Prozess hatte die Richterin laut WAZ-Bericht deutlich gemacht, dass die Kündigung als Reaktion auf die Anzeige kaum Erfolgschancen haben werde. Der Mitarbeiter habe nicht nur das Recht, sondern womöglich sogar die Pflicht gehabt, sich an die Strafverfolgungsbehörden zu wenden. „Whistleblowing“ rechtfertige keine Kündigung. Laut Bericht hatte sich der Angestellte zu Hause in das Netzwerk der Apotheke eingeloggt und mehrere 100 Kopien von Geschäftsunterlagen angefertigt.

S. hatte die Kündigung laut WAZ aber außerdem mit anderen Pflichtverletzungen begründet. So habe er als kaufmännischer Leiter zu verantworten, dass Rechnungen offen geblieben und Mahnschreiben in Verzug geraten seien. Außerdem habe er privat Medikamente gekauft, ohne sie bislang zu bezahlen. An eine Absprache, den Betrag mit den vielen Überstunden zu verrechnen, wollte sich der Apotheker laut Bericht nicht erinnern. Die Richterin hatte S. zum Termin geladen, weil sie seine Meinung zum Fall hören wollte. Es war der erste öffentliche Auftritt des Apothekers seit seiner Festnahme.

Der Angestellte hatte einen Vergleich mit Abfindung ablehnt, daher musste nun das Gericht entscheiden. L. glaubt, dass die Gründe für die Entlassung, auf denen das Urteil basiert, nur vorgeschoben waren. Die Richterin sah die falschen Abrechnungen als ausreichenden Pflichtverstoß, die Anzeige ließ sie nicht gelten.

Dem Vernehmen nach ist es bereits der zweite Fall, der vor dem Arbeitsgericht gelandet ist. Auch einer PTA soll S. fristlos gekündigt haben; hier hatte die Richterin aber S. nicht zur Verhandlung geladen. Wie dieser Fall ausgegangen ist, ist nicht bekannt.

S. sitzt wegen Fluchtgefahr in Untersuchungshaft, seit am 29. November seine Geschäfts- und Privaträume durchsucht wurden. Über die von der Staatsanwaltschaft beantragte Verlängerung hat Oberlandesgericht Hamm (OLG) noch nicht entschieden. Auch seine Konten wurden eingefroren. Die Apotheke wird mittlerweile wieder von seiner Mutter geführt, die auch die Betriebserlaubnis erhalten hat.

Die Staatsanwaltschaft wirft dem 46-jährigen Apotheker vor, in mindestens 40.000 Fällen Infusionen zur Krebsimmuntherapie abweichend von den individuellen ärztlichen Verordnungen zu gering dosiert haben. Außerdem soll er bei der Herstellung gegen Hygienevorschriften verstoßen haben; laut Bild-Zeitung sollen sogar zurückgenommene, bereits abgerechnete Infusionen erneut benutzt worden sein. Mit den Kassen hat der Apotheker den vollen Betrag abgerechnet. Der finanzielle Schaden liege bei 2,5 Millionen Euro.

Ausschlaggebend für die Ermittlungen waren Hinweise des ehemaligen Mitarbeiters; ein Abgleich von Abrechnungen und Lieferscheinen ergab Diskrepanzen. Die Staatsanwaltschaft versucht seit einem halben Jahr die Beweise zu sichern, schon wegen des Umfangs nehmen die Arbeiten viel Zeit in Anspruch. Da die sechsmonatige Frist für die U-Haft demnächst abläuft, haben die Ermittler eine Verlängerung beantragt. Darüber muss das Oberlandesgericht Hamm entscheiden.

S. soll unter zwei Gesichtspunkten der Prozess gemacht werden: Neben Abrechnungsbetrug muss er sich wegen Verstößen gegen das Arzneimittelgesetz (AMG) verantworten. Der Nachweis, dass wegen seiner mutmaßlichen Pfuschereien tatsächlich Patienten zu Schaden gekommen sind, wird wohl nur schwer zu erbringen sein. Laut Staatsanwaltschaft gibt es hier ganz hohe Beweisanforderungen: Hier muss nachgewiesen werden, dass konkrete Patienten unterdosierte Infusionslösungen erhalten haben und dass es ihnen hinterher deswegen schlechter ging.

Gemeinsam mit den behandelnden Ärzten hatte die Staatsanwaltschaft zehn Patienten ausfindig gemacht, die noch kurz vor der Verhaftung mit Infusionslösungen aus der Apotheke behandelt wurden und die nach dem Abbruch noch keine neue Therapie erhalten hatten. Im Dezember waren ihnen Blutproben entnommen und zur Beweissicherung eingelagert worden. Eine Exhumierung wurde dagegen verworfen.

Gelingt der Nachweis, droht S. eine Anklage wegen Tötungsdelikten bis hin zu Mord. Doch auch im Fall einer Verurteilung wegen eines Verstoßes gegen das Arzneimittelgesetz und gewerbsmäßigen Betruges muss er mit bis zu zehn Jahren Haft rechnen.

Mehr Chancen, S. wegen der Gefährdung von Patienten belangen zu können, macht sich Sabrina Diehl. Die Anwältin vertritt Betroffene beziehungsweise deren Angehörige, sie will S. auf zivilrechtlichem Weg auf Schadenersatz verklagen. In zwei Fällen soll demnächst Anklage erhoben werden, ein dritter Fall befindet sich in Vorbereitung.

Diehl geht davon aus, dass der Apotheker im Prozess seine Unschuld selbst beweisen muss: Dass bei ihren Mandaten jeweils Infusionslösungen eingesetzt wurden, die in der Apotheke hergestellt wurde, lässt sich laut Anwältin nämlich zweifelsfrei belegen. Tatsache sei auch, dass sich unter der Behandlung die Tumormarker nicht verbessert, sondern verschlechtert hätten. Nach dem Wechsel der Apotheke habe die Therapie dagegen angeschlagen.

Damit sind laut Diehl die Voraussetzungen für eine Beweislastumkehr erfüllt. Im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) heißt es dazu: „Liegt ein grober Behandlungsfehler vor und ist dieser grundsätzlich geeignet, eine Verletzung des Lebens, des Körpers oder der Gesundheit der tatsächlich eingetretenen Art herbeizuführen, wird vermutet, dass der Behandlungsfehler für diese Verletzung ursächlich war.“ Nicht der Patient muss also nachweisen, dass der Fehler zum gesundheitlichen Schaden geführt hat. Vielmehr muss der Behandelnde belegen, dass es keinen kausalen Zusammenhang gibt.

Der Paragraf gilt streng genommen nur für Ärzte, laut Diehl lässt er sich aber auf den Fall des Pfusch-Apothekers übertragen. Die Anwältin spricht von einem Präzedenzfall: „So etwas habe ich in meiner Laufbahn noch nicht erlebt. Das ist ein besonders abartiger Fall, in dem aus reiner Habgier die Gefährdung der Patienten zumindest billigend in Kauf genommen wurde.“

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