Tief im Thüringer Becken liegt der Kurort Bad Langensalza. Zwischen einer malerischen Altstadt, elf verschiedenen Themengärten, einem Thermalbad und einer Rehaklinik bietet das 17.000-Einwohner-Städtchen Einblick in die deutsche Pharmaziegeschichte, denn hier befindet sich das einzige Apothekenmuseum des Freistaats. Kürzlich konnte es seinen Bestand dank der Spende einer nahegelegenen Apotheke erheblich erweitern. Es zeigt, dass Apothekengeschichte auch Gesellschaftsgeschichte ist.
In der historischen Innenstadt – der zweitgrößten Thüringens – findet sich unterhalb der Bergkirche St. Stefanie das Fachwerkgebäude Haus Rosenthal. Dass es seit 2014 das Thüringer Apothekenmuseum beherbergt, ist weniger langfristig geplanter Kulturpolitik zu verdanken, als vielmehr der Generosität eines alten Apothekerpaares: 80 Kilometer entfernt, jenseits der ehemaligen deutsch-deutschen Grenze im hessischen Eschwege, ging nämlich wenige Jahre zuvor für die dortige Löwen-Apotheke eine Ära zu Ende. Der 1598 gegründete Betrieb gehörte seit Generationen der Familie Dörries, die ihn nun verkaufte.
Das Apothekerehepaar Gotlind und Alexander Dörries setzte sich zur Ruhe, wollte jedoch sicherstellen, dass seine Hinterlassenschaft gut aufgehoben ist. Denn über die Zeit horteten die beiden eine riesige Sammlung historischer Exponate, von HV-Tischen über Giftschränke bis zu Mörsern und Tablettenpressen. „Ihr Wunsch war es, die Geschichte ihrer Apotheke in ihrer Heimatstadt zu präsentieren“, erklärt Sabine Tominski, die Leiterin des Apothekenmuseums. „Das war in Eschwege aber nicht möglich. Da ihre Hinterlassenschaft wenigstens in der Region bleiben sollte, kamen sie ins nahe gelegene Bad Langensalza.“
Dort war das Timing gut, die Stadt hatte gerade Haus Rosenthal saniert. Platz und Interesse waren da. Tominski, eigentlich Geschichts- und Geographielehrerin, aber seit 1983 für das Stadtmuseum tätig, übernahm den Fall und errichtete in Zusammenarbeit mit dem Ehepaar das Apothekenmuseum. Über 10.000 Exponate, die vom Ende des 18. bis ins 20. Jahrhundert hinein reichen, hinterließen die beiden der Stadt, die eigens dafür die Räumlichkeiten einrichtete.
Zwei historische Offizinen kann man dort nun begutachten, samt Kräuterkammer, Giftschränken, etlichen historischen Gefäßen und Arbeitsinstrumenten. Hinzu kommen zwei Laboratorien, eines davon ein Nachbau des Labors von Johann Christian Wiegleb. Der Naturforscher und Apotheker gilt als einer der Wegbereiter der Entwicklung der Pharmazie zur modernen Wissenschaft und wirkte von 1732 bis 1800 – sein gesamtes Leben – in Langensalza.
„Wiegleb lebte genau in der Umbruchphase, in der sich der Apothekerberuf vom handwerklichen zur wissenschaftlich fundierten Beruf wandelte“, erklärt Tominski. „Er war einer der ersten, der Apothekern eine wissenschaftlich-chemische Ausbildung zukommen ließ.“ 1779 gründete er in Langensalza ein privates chemisch-pharmazeutisches Institut, das erste seiner Art in Deutschland. Zu seinen Schülern zählten Sigismund Friedrich Hermbstädt und Friedrich August Göttling, zwei weitere Wegbereiter der modernen Pharmazie.
Das beschauliche Bad Langensalza kann also wissenschaftsgeschichtliche Bedeutung vorweisen und das Apothekenmuseum trägt dem Rechnung. Doch seit kurzem hat sich der Fokus noch erweitert: Nicht mehr nur vergangene Jahrhunderte, sondern auch das Zeitalter der Mitlebenden wird nun abgebildet.
Denn im Mai fiel dem Museum erneut das Glück in den Schoß. Wieder wurde eine traditionsreiche Apotheke übernommen, diesmal in Bad Langensalza selbst. Albrecht Kiesow wurde zum neuen Inhaber der Mohren-Apotheke und mistete aus. „Ich hatte erfahren, dass Herr Kiesow am Erhalt des Inventars sehr interessiert ist und ihn kontaktiert, um zu fragen, ob wir nicht einen Teil davon im Museum unterbringen wollen. Dafür war er glücklicherweise sehr aufgeschlossen.“ 131 Gegenstände vermachte er dem Museum im Mai, fast alle aus DDR-Zeiten. Diese werden nun in verschiedenen Räumen des Museums ausgestellt.
„Wir haben durch die Schenkung mehrere große Arbeitsgeräte erhalten wie eine Handtablettiermaschine, eine Salbenmaschine oder einen Dampfsterilisator“, erzählt Tominski, „außerdem einen Glasballon in einem abgepolsterten Metallkorb, der Wofasept enthielt“, ein Desinfektionsmittel, das vom VEB Chemiekombinat Bitterfeld hergestellt wurde. „Solche Objekte sagen viel mehr aus, als ihre technischen Daten“, erklärt die Museumsleiterin. Denn sie wecken bei vielen Besuchern eigene Erinnerungen. Gleiches gilt für eine Vitrine, in der alte Arzneimittelpackungen von Medikamenten ausgestellt sind, die in Thüringen produziert wurden. „Manche Besucher stehen dann ganz lange davor und erinnern sich, dass sie selbst oder ihre Eltern diese Medikamente genommen haben.“
Ältere Apotheker wiederum würden oft lange die Instrumente anschauen und sich daran erinnern, welche Erfahrungen sie damals damit gemacht haben. „Eine Besucherin hat uns mal erzählt, dass sie als Lehrling die Aufgabe hatte, mit der gleichen Maschine wie der unseren 1000 Pillen mit der Hand herzustellen. Am nächsten Tag kam sie ins Labor und musste feststellen, dass die Hälfte davon zerfallen war.“
Mit solchen Eindrücken würden gleichzeitig Brüche und Kontinuitäten in der Region verdeutlicht, erläutert Tominski. Denn während sich die älteren der jährlich rund 7000 Besucher noch an Volkseigene Betriebene und Chemiekombinate erinnern, können die Jüngeren lernen, auf welche Tradition Standorte der Arzneimittelherstellung wie Jena oder Königssee zurückblicken.
Entsprechend würde Tominski dem lokalen Publikum in Zukunft gern auch die jüngere Apothekengeschichte der Region näherbringen. Eine erste Gelegenheit dazu hat sie in wenigen Wochen. Denn am 9. September ist bundesweit Tag des offenen Denkmals und das Apothekenmuseum nimmt daran mit einer kleinen Sonderausstellung zur Apothekengeschichte in Bad Langensalza teil – inwiefern sich das später in eine Dauerausstellung übertragen lässt, sei jedoch noch offen.
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