Bundesweit haben offenbar Kunden in Apotheken versucht, sich mit vermeintlichen Immunitätsnachweisen aus einer dubiosen Privatstudie Genesenenzertifikate zu erschleichen – und waren damit wohl zum Teil erfolgreich. Die Landesapothekerkammer Rheinland-Pfalz warnt Apotheken deshalb davor, darauf einzugehen. Das könnte aber bei manchen Kammermitgliedern auf taube Ohren stoßen: Der Studienautorin zufolge sollen bundesweit rund 50 Apothekeninhaber „mit Gewissen und Wissen“ eingeweiht sein.
Dr. Elke Austenat hat eigentlich eine durch und durch beachtenswerte Vita: Die Ost-Berlinerin ist promovierte Internistin, saß in der DDR wegen versuchter Republikflucht zwei Jahre in politischer Haft, wurde von der Bundesrepublik freigekauft und eröffnete 1985 in West-Berlin die erste teilstationäre Diabetesklinik in Deutschland, die sie bis 2007 leitete. Parallel war sie von 1994 bis 2006 Chefredakteurin des Fachmagazins „Diabetes Heute“ – ihr stellvertretender Chefredakteur war ab 2001 ausgerechnet Günter Schabowski. Im Lauf ihrer medizinischen Karriere erhielt sie zahlreiche Preise, darunter den Johann-Gottlieb-Fichte-Preis der Humboldt-Universität Berlin. Sie steht also, so könnte man annehmen, fest auf dem Boden des wissenschaftlichen Mainstreams.
Doch das hat sich anscheinend mit der Corona-Pandemie geändert. Vergangenen Sommer gründete sie die Initiative „Evidenz der Vernunft“, weil bei ihr mit Blick auf die Corona-Pandemie offenbar rege Zweifel an der offiziellen Version der Ereignisse wuchsen. „Covid-19 ist für die meisten Menschen nicht tödlicher als bisherige Corona-Viren, die wir schon seit mehr als 50 Jahren kennen“, erklärte sie im August dem Blog „Nachdenkseiten“, der seit geraumer Zeit in der Kritik steht, Verschwörungstheorien umfassenden Raum zu geben. Zu Beginn der Pandemie sei sie selbst erschrocken gewesen. „Aufgrund meiner beruflichen Vergangenheit dachte ich sofort an Biowaffen, da ich in den USA und in Moskau Experten getroffen und mich mit ihnen sehr fundiert auch über Mikroben als Waffe ausgetauscht hatte.“ Sie habe sich intensiver mit der Problematik befasst und sei zu dem Schluss gekommen: „Man wollte eine Impfung forcieren, von der man anhand der bisherigen wissenschaftlichen Studien grundsätzlich wusste, dass sie nicht ausreichend wirksam ist und viele Nebenwirkungen aufweist“, so Austenat.
Diese Impfung sei jedoch nicht nötig – es reiche, das Immunsystem zu stärken „und natürlich auch weiterführende Maßnahmen“ zu ergreifen. Hier nennt sie Vitaminpräparate, das Pferdeentwurmungsmittel Ivermectin, Ozon/UV-Therapie sowie CDL, also Chlordioxidlösung – das in alternativmedizinischen Kreisen auch als „Miracle Mineral Supplement“ bekannte vermeintliche Wundermittel, vor dessen Anwendung Behörden wie das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) seit Jahren warnen. Austenat hat es sich deshalb zum Ziel gesetzt, zu beweisen, dass die Corona-Impfungen unnötig sind. Ihr Ansatz: Sie geht davon aus, dass ein großer Teil der Bevölkerung aufgrund einer unbemerkten Durchseuchung bereits immun ist, und will das mit einer Studie in Eigenregie nachweisen.
Dazu will Austenat mit ihrer selbsternannten Bürgerinitiative eine Datengrundlage schaffen: Ziel sei eine repräsentative Pilotstudie mit mindestens 1400 Teilnehmern. Die sollen auf der Seite einen Fragebogen ausfüllen, in dem zahlreiche Faktoren wie Geschlecht, Region, Alter, Vorerkrankungen oder Berufsgruppe, aber auch der Impfstatus abgefragt werden. Dem sollen sie einen Immunitätsnachweis beilegen – in Eigenregie. Auf der Homepage führt Austenat eine Liste von Laboren, an die sich freiwillige Teilnehmer wenden können, um einen Antikörpertest zu durchführen zu lassen. Dass Angaben und Testergebnis stimmen, prüfe sie selbst stichprobenartig.
Für diejenigen mit positivem Antikörpertestergebnis stellt Austenat auf der Seite eine Musterbescheinigung zur Verfügung, mit der Teilnehmer belegen sollen, dass bei Ihnen eine Immunität gegen Sars-CoV-2 vorliegt. „Eine Impfung oder Wiederholungsimpfung gegen Covid-19 wird als nicht geboten attestiert“, heißt es im vorangekreuzten Feld. Vor diesen Bescheinigungen warnt nun die LAK Rheinland-Pfalz ihre Mitglieder: „Insbesondere scheint problematisch, dass wohl einige Apotheken diese Immunitätszertifikate als Grundlage für die Erstellung eines EU-Covid-Genesenennachweises verwenden, was gemäß § 23 Nr. 5 Covid-19-Schutzmaßnahmen-Ausnahmenverordnung (SchAusnahmV) nicht zulässig ist“, so das von Geschäftsführer Dr. Tilman Scheinert unterschriebene Rundschreiben.
Doch nicht nur das: Austenat ist bewusst, dass die meisten Apotheken das nicht ohne Weiteres mitmachen. Auf der Seite führt sie eine Deutschlandkarte, auf der rund 50 Apotheken-Zeichen im gesamten Bundesgebiet verteilt sind, mit Schwerpunkt in Süd- und Südwestdeutschland. „Die Icon stehen für deutschlandweite Apotheker mit Gewissen und Wissen“, steht dazu beschrieben. Offensichtlich soll es sich um eingeweihte Apotheken handeln, die Genesenenzertifikate auf Grundlage ihrer Immunitätsnachweise ausstellen. „Es ist die persönliche Entscheidung des Apothekers, ob er Untertan wider besseren Wissens ist oder nicht“, steht darunter. Es verdiene „Hochachtung, dass Apotheker sich evidenten Wissens erinnern und diesem zu Recht verhelfen. Daher geben wir niemandem die Namen der Apotheker bekannt, um diese in ihrem rechtmäßigen Handeln vor staatlicher Willkür zu bewahren.“
Und für diejenigen Apotheken, die sich an geltendes Recht halten wollen, hat Austenat ein weiteres Schriftstück auf ihrer Website eingestellt, vor dem die Kammer ebenfalls warnt: „Weiterhin wird interessierten Kreisen dort ein Dokument zum Download zur Verfügung gestellt, mit dessen Vorlage Apotheken dazu gebracht werden sollen, ein Genesenenzertifikat widerrechtlich auszustellen, insbesondere durch Hinweis auf ein vermeintliches Haftungsrisiko der Apotheken.“ Jenes Musterschreiben hat es entsprechend in sich: „Verweigerung der Ausstellung eines Genesenen Zertifikat auf der Basis eines ärztlich ausgestellten Immunitätszertifikat“, ist es in großen roten Lettern überschrieben. Unter den Angaben zur Person sollen Apotheker ihre Verweigerung begründen und per Unterschrift belegen.
Es folgt ein juristisch hanebüchener Hinweis, der das Apothekenpersonal offensichtlich einschüchtern soll: „Sofern die Unterschrift durch die von der Regierung autorisierte Stelle verweigert wird, wird darauf verwiesen, dass diese Personen für auftretende Schäden jeglicher Art persönlich haftbar gemacht und die entsprechenden Weiterungen vorbehalten werden.“ Dazu würden alle Personen, Organisation oder Behörden gehören, die per Gesetz ermächtigt sind, das Genesenen-Zertifikat mit QR-Code auszustellen. Es folgt eine nicht minder hanebüchene „Rechtsbehelfsbelehrung“: Die Verweigerung verletze den Gleichheitsgrundsatz gemäß Artikel 3 des Grundgesetzes, „missachtet evidente medizinische Erkenntnisse entgegen dem – aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleiteten – Willkürverbot und damit steht § 2 Nr. 5 SchAusnahmV aufgrund des Widerspruchs zu medizinischen Erkenntnissen der Immunität und zum Bundesrecht, welches bei anderen Erkrankungen auch den Immunitätsnachweis genügen lässt“, so das Schreiben.
Wie weit verbreitet diese Schreiben sind, lässt sich nicht genau feststellen. Austenats Seite zufolge liegt die Zahl der Studienteilnehmer mit Stand vom 4. Januar bei 23.151, von denen bei 3873 die Immunität geprüft worden sei. Darunter führt sie Statistiken zu bereits ausgewerteten Ergebnissen von 2536 Teilnehmern: Von insgesamt 997 Ungeimpften, deren Immunitätsstatus geprüft wurde, würden 806 – knapp 81 Prozent – eine „natürlich erworbene Immunität gegen Covid-19 oder endemisch verwandte Betacoronaviridae“ zeigen.
Auch die Altersverteilung zeigt überraschende Ergebnisse: In allen Altersklassen sei eine natürliche Immunität gegen Covid-19 erworben worden, besonders hoch sei der Anteil in den Gruppen der 60- bis 74-Jährigen mit 39 Prozent sowie der Über-90-Jährigen mit 50 Prozent. Wie es statistisch Sinn ergeben soll, dass der höchste Einzelwert in den Altersgruppen bei 50 Prozent liegt, wenn in der Gesamtgruppe über 80 liegen soll, wird genauso wenig erklärt wie Angaben zur Repräsentativität der Ergebnisse gemacht werden. Dafür zieht Austenat eine umso klarere Schlussfolgerung aus der Alterstabelle: „Die Priorisierung der Covid-19 Impfung nach kalendarischen Altersklassen, wie vom Ethikrat, der Regierung, RKI (Stiko) vorgegeben, ist medizinisch nicht begründbar und damit nicht gerechtfertigt.“
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